Sozionik und Internet-Dating

Reinhard LANDWEHR (geb. 22.09.1947)

Sozialwissenschaftler, wohnt in Bielefeld (Nordrhein-Westfalen). Veröffentlichungen über Typisierungen in der Regionalforschung, die Verwendung von Informationen in rationalen Entscheidungsprozessen und Anomalien im Verhalten von Investoren, 2002 durch eine Internet-Suchmaschine auf die Sozionik aufmerksam geworden.
Sozionischer Typ: Analytiker (Robespierre)

1. Internet-Dating als soziale Innovation

Als die Liebeskomödie "Email für dich" Ende 1998 in die amerikanischen und Anfang 1999 auch auf die deutschen Kinoleinwände kam, bereitete sie den Durchbruch einer sozialen Innovation vor, und zwar des Internet-Datings. Dieser Film führte die faszinierenden Möglichkeiten des Internet vor Augen, die in der Offline-Realität praktisch unmöglich scheinen. Dank der Anonymität, die dieses neue Medium bietet, können sogar Menschen, die sich im realen Leben als harte Konkurrenten befeinden, zufällig im Cyberspace ihre innersten Gedanken austauschen und sich dadurch kennen lernen und ineinander verlieben.

In einer Zeit, in der die traditionellen festen heterosexuellen Partnerbeziehungen als etablierte soziale Institutionen an Gewicht verlieren, scheint das neue Wundermedium Internet offensichtlich vielen als der technische Zauberstab, mit dem sich unerfüllte Bedürfnisse und Sehnsüchte einfach per Mausklick schnell und unkompliziert befriedigen lassen. So scheinen immer mehr frustrierte Singles zu denken, seit Tom Hanks und Meg Ryan per Film und Video diesen Weg zum Traumpartner bekannt und populär gemacht haben. Damit hat das Online-Dating innerhalb von nicht einmal einer Handvoll von Jahren den üblichen Formen des Kennenlernens zumindest vieles von ihrem Reiz genommen. Nicht mehr Face-to-Face-Kontakte bereits im Sandkasten oder später am Arbeitsplatz, in Diskotheken oder im Freundes- und Bekanntenkreis führen vorrangig zum Wunschpartner, sondern eine Nachricht oder ein Profil im Internet.

Diese soziale Revolution von Datingmustern, die zuvor über Jahrhunderte hinweg vor allem auf einen sehr engen Personenkreis bezogen und vom Vertrauen auf einen glücklichen Zufall geprägt waren, fand fast explosionsartig innerhalb von nur zwei Jahren statt. Die Zahlen des größten Anbieters von Online-Dating-Dienstleistungen, der US-amerikanischen match.com (36), belegen diesen Trend sehr eindrucksvoll. Während in den sechs Jahren zwischen seiner Gründung im April 1995 und Anfang 2001 nur insgesamt etwa eine Million neuer Mitglieder gewonnen werden, konnte, erfolgte danach bis Ende 2002 ein kometenhafter Anstieg auf acht Millionen (40). Nachdem die Millionenschwelle erreicht war, löste diese kritische Masse an

Teilnehmern offensichtlich eine Kettenreaktion aus. Die Medien wurden aufmerksam, die ersten Erfahrungsberichte erschienen auf dem Büchermarkt, der Film ließ die soziale Innovation jeden miterleben und das Online-Dating gewann so das Image einer modernen und erfolgreichen Form des Kennenlernens.

Kann man auch die veröffentlichten Mitgliederzahlen der Anbieter als animierende Werbeaussagen für wenig zuverlässig halten, gilt das nicht für die Daten über die zahlenden Kunden, die Subskribenten. Ihre Zahl stieg bei match.com bis Mai 2001 langsam auf eine viertel Million an, um sich dann bis Juni 2002 in nur gut einem Jahr auf 650 000 mehr als zu verdoppeln (36, 40).

Dieselbe Entwicklung zeigt sich auch beim Wettbewerber Matchnet (37), einem publizitätspflichtigen Börsenwert. Dieses Unternehmen begann 1997 mit Jdate als Spezialanbieter für jüdische Singles. Im Mai 1999 wurde dann AmericanSingels.com gekauft, das damals 275 000 Mitglieder registriert hatte. Ende September 2002 waren dann bereits über 6,2 Mill. Profile erfasst.

Die aktuellen Daten über die Internetnutzung zeigen, dass die Online-Dating-Angebote zu den besonders häufig aufgerufenen Seiten zählen. So klicken von 1000 Internetnutzern etwa 4 bis 5 täglich (Stand: Juni 2003) jeweils match.com oder AmericanSingles.com an (31).

Aus der anfänglichen Neugier der Mitglieder entstand so sehr schnell eine ökonomisch relevante Nachfrage, da die Subskribenten Geld für die neue Dienstleistung zahlten, während es in diesen Jahren nach der ersten Interneteuphorie anderen Angeboten kaum gelang, kostenpflichtige Angebote am Markt durchzusetzen. Das Internet-Dating etablierte sich somit rasch als Teil des sozialen Lebens, es wurde zu einem sozialen Trend in unserer heutigen Gesellschaft.

Das gelang offensichtlich, weil diese Angebote latenten Bedürfnissen der Individuen in einer Gesellschaft entsprechen, in der ihre traditionellen Beziehungsmuster an Bedeutung immer mehr einbüßen. Institutionen wie Ehe, Familie und Verwandtschaft verlieren an Gewicht, womit sich auch ihre sozialen Funktionen in einer extrem mobilen Gesellschaft immer weniger erfüllen können, ganz gleich ob es nun die Befriedigung intimer Bedürfnisse, sozialer Sicherheit oder auch die Partnervermittlung ist.

Der neue Weg über das Internet muss allerdings nicht nur als wenig attraktiver Lückenbüßer verstanden werden. Die über das Internet angebahnten Beziehungen versprechen vielmehr die Realisierung eines großen Traumes, den sicherlich mehr oder weniger ausgefeilt schon immer viele Menschen hatten, vor allem wenn sie gerade ohne Partner lebten oder sich in einem zermürbenden Partnerschaftskonflikt befanden. „Sollte es nicht unter den vielen, vielen Menschen auf der Erden wenigsten einen geben, mit dem auch der unzufriedene Träumer glücklich werden könnte?“, dürften sie sich gefragt haben. Dieser Wunschtraum glich über Jahrtausende der sprichwörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Die Aufgabe schien praktisch unlösbar, wenn nicht ein gütiges Schicksal oder ein gnädiger Gott dem Träumer die Gunst eines wunderbaren Zufalls schenkten. Diese Situation hat sich dank der technologischen Evolution grundlegend geändert.

Die Vernetzung der Menschen mit ihren PCs über das Internet und die Entwicklung leistungsstarker Suchmaschinen macht den raschen Zugriff auf die Stecknadel praktisch möglich. Die Zeit des Hoffens auf die Wirkung magischer Riten oder Gebete, in denen früher das Glück eines günstigen Zufalls herbeigezaubert werden sollte, ist damit rein technisch gesehen vorbei. Aber es gibt ein neues Problem. Der Träumer muss seine Partnerschaftsfantasie operationalisieren, er muss seinen Traumpartner so klar definieren, dass dieses Suchaufgabe in einen binären Code übersetzt und dann bearbeitet werden kann.

Damit stellt sich eine neue Aufgabe, die bei den traditionellen Formen des Kennenlernens keine besondere Rolle spielte, da man sich sah und erlebte, wodurch eben unmittelbar ein romantisches Interesse entstand oder auch nicht.

Am Beginn dieser technologisch initiierten Dating-Revolution erkannten einige Computerfreaks die hervorragenden Suchqualitäten des Computers, mit deren Hilfe sich eben nicht nur Straftäter nach Fingerabdrückübereinstimmungen überführen lassen und Webseiten mit einem gesuchten Inhalt auswählen lassen, sondern auch potenzielle Wunschpartner ausfindig gemacht werden können, wenn man die Hardware mit den entsprechenden Daten füttert.

Gibt man einige Daten über die Person ein, die einen Partner sucht, also harte Fakten wie das Geschlecht, das Alter, die Körpergröße, das Gewicht oder auch die homo- bzw. heterosexuelle Präferenz, lässt sich eine grobe Vorauswahl treffen, von der erwartet werden kann, dass auch ein oder gar der Wunschpartner darunter ist, aber mit dem Vorteil gegenüber einem Offline-Dating, dass nicht mehr so viele Frösche geküsst werden müssen, die sich nicht verwandeln, also nur wombt sind, wie es in der Chat-Sprache heißt, also waste of money, brain and time.

Schwieriger wird dann die Erfassung der weiteren psychischen Individualität; aber das war zunächst in der Regel nicht das Problem, denn als man nur wenige Teilnehmer hatte, mussten die Software-Tüftler schon glücklich sein, wenn sich jemand finden ließ, der nach den äußeren Merkmalen wenigsten in etwa passte. Das gelang vor allem in den USA-amerikanischen Campus. So begann etwa Matchmaker als Partnervermittler mit Hilfe des Computers 1987 in Austin, Texas. Es waren 50 Fragen nach den üblichen sozialstatistischen Daten wie Geschlecht, Alter, Größe und Gewicht über die eigenen Person und den gewünschten Partner zu beantworten und dann der Befehl "Make me a match" zu geben. Durch eine Veränderung der gewünschten Merkmale ließ sich in weiteren Schritten anschließend die Zahl der Vorschläge vergrößern oder auch verkleinern werden, ganz als Reaktion auf die jeweilige Angebotssituation auf dem Partnermarkt.

Zudem gab es damals noch die Vorbilder der bekannten Zeitungsanzeigen und des Videodatings, das damals im Zuge der Videotechnikentwicklung en vogue war. Die Sozialstatistik ließ sich also leicht durch einiges Foto und einen werbenden Text ergänzen.

Damit war der Weg für die weitere Entwicklung eingeschlagen und es ließen sich erste Erfahrungen sammeln, die die Besonderheiten dieser Form des Kennenlernens herausstellen. Der Blick wird nicht mehr so sehr auf das Äußere gerichtet, also Gesicht und weibliche Brust, wie die emanzipierten Befürworterinnen betonten, sondern stärker auf die viel beschworenen inneren Werte. Hinzu kam die besondere magische Faszination der Anonymität, die sich sogar über einen längeren Kontakt, wenn er durch den Computer "vermittelt" wurde, aufrechterhalten ließ.

Auf Grund der Verwendung dieses Mediums spiegelt die Sozialstruktur der Teilnehmer auch weitgehend die der Internetnutzer insgesamt wider. So sind nach einer Untersuchung der Soziologin Bühler-Ilieva von der Universität Zürich die meisten Dater erfahrene Internetkenner, wobei der typische Dater im Durchschnitt 34,3 Jahre ist und neben Männern auch Großstadtbewohner und die höheren Bildungs- und Einkommensstufen überrepräsentiert sind (41).

Sehr bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass viele User in ihrem Beruf sehr engagiert sind und Überstunden machen, sodass vor allem der Zeitaspekt für die komfortable Partnersuche per Mausklick spricht. Das Online-Dating ist also keineswegs ein Tummelplatz von Introvertierten und sozialen Mauerblümchen, wie die ersten Kritiker vermuteten.

Das progressive und mit viel Kompetenz verbundene Image des Internets dürfte so die Startbasis für den raschen Aufstieg des Online-Datings geschaffen haben, das nicht wie die Heiratsanzeigen in Zeitungen mit einem sozialen Makel behaftet war, sondern zu einem "kulturellen Phänomen"(37) in unserer Gesellschaft geführt hat, wie Kravitz , der Finanzchef von Matchnet, betont.

Und auch Deutschland folgt ganz der amerikanischen Entwicklung, denn 2002 zählte unter den insgesamt 13 Millionen Singles über 18 Jahren die stetig wachsende Dating-Gemeinde im Internet mittlerweile bereits über acht Millionen Mitglieder, wie eine repräsentative Befragung ergab (35).

Für Becker, den Leiter des mit 1,4 Millionen Mitgliedern (Stand: April 2003) größten deutschen Online-Datinig-Agentur, ist daher "die einzige Qual bei der Partnersuche ab jetzt die Qual der Wahl" In seiner Zukunftsversion soll sich dieser Trend sogar noch fortsetzen: "Die Leute werden sich künftig hauptsächlich online kennen lernen. Die Auswahl ist größer, die Kontaktaufnahme einfacher und die Trefferquote höher. Der Traumpartner findet sich so schneller und außerdem macht schon die Suche richtig Spaß" (35).

Die Millionen von Profilen, die bei den großen Anbietern abgerufen und unter denen der potenzielle Wunschpartnergesucht wird, lassen jetzt das prinzipielle Problem der Auswahl virulent werden; denn anfangs musste jeder bereits zufrieden sein, wenn er unter den ersten Online-Enthusiasten auch nur den einen oder anderen fand, der in etwa zu "passen" schien.

Gegenwärtig lasse sich dabei zwei Trends in der Entwicklung der Angebote erkennen. Zum einen gibt es technisch immer ausgefeiltere Techniken, mit denen das Internet-Dating durch den sehr raschen Austausch von Fotos, Videos, SMSs. Telefongesprächen und Single-Parties dem Kennenlernen in der Offline-Realität mit ihren Blick- und Hörkontakten immer mehr angenähert wird, ja, nach der Vorauswahl über die Profile mit Foto im Internet lässt sich ganz schnell ein zunächst anonymer Direktkontakt herstellen, der dann rasch zu einem realen Date führen kann, vielleicht sogar mit einem Partner, der nur ein paar Meter entfernt wohnt.

Zum anderen sollen psychologische Testangebote die Selektion des richtigen Partners erleichtern. Nicht der sinnliche Kontakt mit dem Äußeren eines potenziellen Partners, sondern die Sezierung seiner psychischen Persönlichkeit und die Suche nach dem - wissenschaftlich gesehen - besten Partner mit Hilfe eines mathematischen Algorithmus sollen bei dieser Strategie die Weichen für das zukünftige Lebensglück stellen.

2. Psychologische Matching-Angebote

Die Kombination des Internet-Datings mit Hilfe psychologischer Testverfahren, durch die dann jeweils die nach wissenschaftlichen Kriterien besonders geeigneten potenziellen Partner für weitere Mailkontakte herausgefiltert werden, verspricht nicht nur eine Hilfe bei der Auswahl unter inzwischen Millionen von profilierten Mitgliedern bei den großen Online-Dating-Anbietern. Sie wollen auch die Qualität zukünftiger Partnerschaften verbessern und damit den als soziales Problem angesehenen hohen Scheidungsraten begegnen. Die Kombination von Internet und Psychologie soll so eine alte Sozialutopie näher rücken, die schon vor über 2000 Jahren der griechische Dichter Euripides träumte: "Der größte Segen auf dem Erdenrund, wenn Weib und Gatten treuer Eintracht Band umschlingt...".

Warren, ein US-amerikanischer Eheberater und Bestsellerautor hat mit eharmony.com (34) bereits August 2000 den ersten von einem Psychologen geführten Dating-Service im Internet gegründet, der ausschließlich nach diesem Prinzip arbeitet. Sein Matching-Programm stützt sich vor allem auf seine Autopsie von Scheidungen, durch die er eine eindeutige Erfahrung gewonnen hat. So geht Warren besonders kritisch mit dem Schlagwort "Gegensätze ziehen sich an" ins Gericht, wenn er nach seinen Fallanalysen diese kurzfristige Aussage vervollständigt, und zwar mit dem Satz, "um sich anzugreifen, ja, zu strangulieren." So gibt es für ihn nur eine Aufgabe bei der Partnerwahl: Jeder muss einen Partner finden, der ihm sehr ähnlich ist, seinen Doppelgänger.

Und auch der Chemie oder Biologie mit ihrer sexuellen Attraktion vertraut Warren keinesfalls; denn für ihn verdampfen 75 bis 80% dieser chemischen Bindungskraft während der ersten sechs bis acht Monate, wenn eine Beziehung nicht durch eine tiefere und haltbarere Kompatibilität der Partner untermauert ist. Langfristige Partnerschaften erfordern für ihn vorrangig eine hohe Vereinbarkeit beider Partner, da sie der zentrale Schlüssel zum Liebesglück darstellt. Schließlich lautet sein Grundüberzeugung: Die Auswahl eines Partners ist für die Qualität einer Beziehung wichtiger als alles, was man während der Beziehung selbst unternimmt.

Seine Leitgedanke, der das neue Geschäftsmodell der Internet-Dating-Agenturen mit Hilfe psychologischer Partnerschaftstests begründete, besteht daher in der Substitution der Chemie, die, wie es wohl im Hinblick auf Goethes Wahlverwandtschaften in einer festen Redewendung heißt, „stimmen muss“, durch die Psychologie.

Den Vorteil sieht Warren jedoch nicht allein in der Treffsicherheit, sondern auch in einer immensen Zeitersparnis. Seine Kalkulation ist dabei sehr einfach. Nach seinen Erfahrungen hat ein durchschnittlicher Amerikaner in seinem Leben Dates mit rund 100 Personen. Daraus ergibt sich dann das wenig überzeugende Ergebnis, dass nur jede vierte daraus entstandene Ehe glücklich ist. Für diesen Erfolgsfall wären demnach im Durchschnitt 400 Personen erforderlich gewesen, also ein immenser Aufwand an Zeit, Geld, psychischer Energie und nicht zuletzt an einem fast unvorstellbaren Maß von Enttäuschungen.

Grundlage des Eingangstest von eharmony.com sind 250 Merkmale, die über das Internet erhoben werden. Daraus leitet die Software dann 50 wichtige Ähnlichkeitsbereiche ab, von denen zumindest gut 30 Bereiche sehr ähnlich sein sollten, damit später nur wenige offene Fragen geklärt und in Kompromissen entschieden werden müssen, die dann in einer späteren der Partnerschaft immer ihre kleinen, nagenden Frustrationen hinterlassen würden. Dem dient auch ein ganz konkreter Katalog von jeweils zehn Eigenschaften, die man von einem Partner auf alle Fälle erwartet oder bei ihm keinesfalls ertragen kann.

Von jedem Interessenten an seinem Online-Angebot erwartet Warren daher zunächst die Aufstellung eines "Einkaufszettels", auf dem jeder seine unverzichtbaren Muss-Erwartungen und absoluten Vetofaktoren notiert. Auf diese Weise sollen sich die langen Streitigkeiten zwischen Frühaufstehern und Morgenmuffeln oder zermürbenden ewigen Diskussionen über falsch ausgedrückte Zahnpastatuben oder offene Toilettendeckel vermeiden lassen.

Ähnlichkeit ist jedoch nicht alles; denn Warren sieht daneben eine Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen, die eine Beziehungsfähigkeit generell in Frage stellen. Daher werden - was sicherlich nicht gerade den Umsatz und damit den Gewinn seines Unternehmens fördert - etwa 20% der Interessenten abschlägig beschieden. Das geschieht mit Hilfe eines ausführlichen eingebauten Lügentests und von Fragen zur emotionalen Gesundheit, indem sehr egoistische und generell unzufriedene Interessenten ausgeschieden werden. Neurotiker, Depressive, Nörgler, Lügner und Egoisten erhalten so die rote Karte auf dem Weg zum Partnerglück.

Wer den Test seiner generellen Beziehungsfähigkeit absolviert hat, darf dann auf ein garantiertes, schnelles Partnerglück hoffen. Unter Anleitung seiner "Agentur für den Aufbau von Beziehungen", wie Warren sein Internet-Angebot selbst versteht, gilt es dann nur noch gemeinsame Interessen und vor allem die Attraktionschemie in der Realität zu testen.

Eharmony.com orientiert sich mit diesem Matching-Test erklärtermaßen an der Anbahnung langfristiger Partnerbeziehungen und nicht vorrangig an den ersten Momenten visueller Anziehungskraft und psychischen Verständnisses. So wird etwa die kritische Frage aufgeworden, ob das gegenwärtige Glücksempfinden, das vielleicht dieselbe Vorliebe für einen bestimmten Film oder ein Mokka-Eis auslösen mag, sich in diesen magische Weise auch nach 25 Jahren noch einstellen wird.

Die Analyse der Unterschiede zwischen glücklichen und weniger glücklichen oder zerbrochenen Ehen soll Partnersuchenden frühzeitig von vielleicht reizvoll scheinenden Beziehungen abhalten, die nach dem Verlauf vergleichbarer anderer Ehen jedoch wenig aussichtsreich zu sein scheinen. Eharmony verspricht sogar eine Garantie für seine Vermittlungsvorschläge, wenn auch keine 100-prozentige. Nur jemand, der eine 85-prozentige Chance besitzt, dass er den Rest seines Lebens mit einem vorgeschlagenen Partner glücklich leben wird, erhält eine Empfehlung.

2003 kann eharmony sogar von einem empirisch belegbaren Erfolg berichten; denn dem Online-Dating-Service ist es nicht nur gelungen, Ehen zu vermitteln, sondern auch nachzuweisen, dass sich diese durch einen psychologischen Online-Test generierten Ehen im Vergleich mit traditionell entstandenen in den ersten zwei Jahren ihres Bestehens als besser erwiesen haben. So waren die Partner von eharmony-Ehen erheblich stärker von der Qualität ihrer Beziehung überzeugt, mit ihrer Ehe zufriedener und waren sich auch erheblich seltener gegenseitig auf die Nerven gegangen. Es kann daher nicht überraschen, dass nur in 14% in dieser Ehen über eine Scheidung gesprochen worden war, während es bei den traditionell entstanden Ehen immerhin mit 42% fast die Hälfte war.

Der Gedanke, psychologische Tests über das Internet einzusetzen, um geeignete Partner zusammenzuführen, war damit realisiert. In den folgenden Monaten wurde diese Idee einer Verbindung der psychologischen Ehe- und Partnerschaftsforschung mit den prinzipiell unbegrenzt scheinenden Selektionsmöglichkeiten im Internet von der Konkurrenz aufgegriffen.

So hat im März 2003 auch der weltweit führende Dating-Service match.com einen von Psychologen entwickelten "Personal Attraction Test" mit 14 Persönlichkeitsdimensionen in sein Angebot aufgenommen (36). Erklärte Grundlage sind dabei Merkmale wie Extraversion, Freundlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, wie sie als Big5 (25) aus der empirischen Persönlichkeitsforschung bekannt sind. Ergänzt wird diese Persönlichkeitsanalyse durch drei Dimensionen, die sich unmittelbar Partnerbeziehungen fokussieren, so etwa den bevorzugten Stil der Bindung.

Der Autor Thompson verspricht dabei den Kunden. "Unsere Technologie wird jedem einzelnen erlauben, seinen idealen Partner unter Millionen von Kandidaten auf dem gesamten Globus zu finden" (36)

Auch in Deutschland wurde die Idee des Internet-Dating mit Hilfe psychologischer Matching-Tests realisiert. So hat der größte Internet-Dating-Anbieter friendscout24.de seit April 2002 einen Kompatibilitätstest im Angebot, der erstmals den Übereinstimmungsgrad zweier Personen in maßgeblichen Persönlichkeitsdimensionen ermitteln soll. Als Ergebnis wird ein "Interpersonal Compatibility Indicator" errechnet (35). Dieser Wert zeigt an, wie gut der oder die Auserwählte im Verhältnis zu den anderen Persönlichkeitsprofilen aus der Datenbank zu einem Suchenden passt. Dabei werden vor allen Dingen die Eigenschaften, Ansichten und Überzeugungen sowie Interessen berücksichtigt. Alternativ lässt sich ein Ranking der am besten passenden Profile aus der Datenbank filtern.

Der Persönlichkeitstest und die Partnerempfehlungen von Friendscout24 stützen sich, wie es in der Kundeninformation heißt, auf die "Ergebnisse aus 60 Jahren Persönlichkeits- und Partnerschaftsforschung". Dabei erfahren die Jungschen Typen (14), orientiert an den Skalen des MBTI (2, S. 238), eine herausragende Stellung, denn von den betrachteten acht Persönlichkeitsdimensionen stellen sie genau die Hälfte, und zwar die Skalen Extrovertiertheit versus Introvertiertheit, Empfinden (Sensing – S) versus Intuition (N), Denken (Thinking – T) versus Fühlen (Feeling – F) und Beurteilen (Judging – J) versus unreflektiertes Wahrnehmen (Perceiving – P).

Ergänzend erfassen die Autoren die Emotionalität, d.h. die Empfindlichkeit der gefühlsmäßigen Reaktion auf äußere Reize, die Fokussierung, d.h. den Grad der Konzentration auf eine Aufgabe, die Aufgeschlossenheit, d.h. die Orientierung einer Person im Hinblick auf Neuerungen, und das Harmoniebedürfnis, d.h. den Grad, in dem Personen darauf bedacht sind, mit anderen mitzufühlen und überein zu stimmen.

Bei der Auswahl der kompatiblen Partner ist dann die Ähnlichkeit Trumpf. So werden jeweils potenzielle Partnerschaften mit Personen ausgewählt, deren Merkmale innerhalb einer so genannten Empfehlungs-Spanne liegen, also nur mehr oder weniger geringfügig von den Werten des Partnersuchenden abweichen.

Grundannahme des Modells ist die Aussage, dass Unterschiede zwar zunächst beeindrucken, später aber zu Frustrationen führen. Dieses Credo wird immer wieder durch Verweise auf Untersuchungen bekräftigt, nach denen Beziehungen am besten funktionieren, wenn die Personen auf dem gerade betrachteten Gebiet ähnlich sind oder - nur anders formuliert - Ähnlichkeit in einem gerade betrachteten Charakterzug "unerlässlich für die Kompatibilität zweier Personen" ist. Vor einem anfänglichen mystischen Reiz von Unterschieden wird sogar immer wieder gewarnt, da sie zuerst zwar "interessant" sein mögen, spätere Spannungen aber "vorprogrammiert" sind oder eine spätere "Konfliktquelle" darstellen werden. Lapidar

heißt es so etwa: "Untersuchungen haben ergeben, dass dies häufig nicht auf Dauer funktioniert".

Es wird daher der Grad der Ähnlichkeit in den acht Persönlichkeitsdimensionen bestimmt, so dass man, wie bei eharmony.com ein Doppelgänger sucht, der sich bei den Heterosexuellen eigentlich nur in einem Merkmal wesentlich unterscheidet darf, dem Geschlecht.

Mit parship.de, das ab Februar 2001 ins Internet ging und dann nach der nötigen Anlaufzeit seit Mai 2001 Partner vermitteln konnte, wurde ganz entsprechend dem Konzept von eharmony.com in den USA ein Anbieter speziell mit einem psychologischen Konzept gegründet (38). Auch hier steht ein Persönlichkeitstest mit Mittelpunkt der Online-Dating-Dienstleistungen, der diejenigen Mitglieder ermitteln soll, die „nach statistischen Wahrscheinlichkeiten am besten zueinander passen“.

Die Testkonstruktion von parship beruft sich ebenfalls zum großen Teil auf die Jungsche Persönlichkeitstypologie, auch wenn sie leicht modifiziert ist und durch weitere Merkmale ergänzt wurde. Übernommen haben die Autoren die Merkmale Extraversion und Introversion sowie die Urteilsfunktionen, die allerdings auf Verstand, Gefühl und Instinkt oder umgangssprachlich Kopf, Herz und Bauch reduziert sind, indem der Instinkt das gesamte irrationale Spektrum repräsentiert, also "unvermittelt, sehr direkt und ohne viel nachzudenken, spontan, gewissermaßen aus dem Bauch heraus auf die Umwelt" reagiert wird. Auch der Fühltyp erhält eine spezifische Fokussierung, da bei ihm die "Liebe zu allem Lebendigen" "im Mittelpunkt" steht. Zusätzlich greifen die Testautoren noch auf das Jungsche Konzept von Animus und Anima zurück.

Die Auswertung des Tests von parship setzt weitgehend auf eine relativ große Ähnlichkeit der potenziellen Partner; daneben werden allerdings auch Ergänzungen als positiv für eine Partnerschaft angesehen, jedoch nur dann, wenn die Gegensätze nicht zu groß sind, sodass sie ein gegenseitiges Verständnis zu sehr erschweren würden. So konstatieren die Autoren von parship etwa im Hinblick auf die Urteilsfunktionen: "Zwei Menschen werden sich auf Dauer nur dann wirklich verstehen, wenn sie hinsichtlich der Verteilung dieser seelischen Grundkräfte zueinander passen. Zwei ausgewogene Mischungen passen immer gut zueinander“. Oder: „Der Verstand des einen und der Instinkt des anderen können sich gut ergänzen. Partnerschaftlich ungünstig ist es jedoch, wenn die gefühlsbetonten Verhaltenstenzen zwischen den Partnern große Unterschiede aufweisen, denn das Gefühl bildet die Basis für gegenseitiges Verständnis."

Ergänzend zur Jungschen Persönlichkeitstypologie verwenden die parship-Autoren auch dessen Konzepte von Anima und Animus. Warmherzigkeit, Einfühlsamkeit und Sanftmut, aber auch Unlogik, Schwäche und Gefühlsduselei, also Gefühlsbetonungen, die von Stimmungen und Ahnungen abhängen, ohne durch den strengen Verstand erklärbar zu sein, werden dabei als "weibliche" Eigenschaften erfasst; Logik, Stärke und Sachlichkeit, aber auch Sturheit, Grobheit und Machtwille sowie Initiative, Mut und Rationalität als "männliche".

Gute Beziehungen ergeben sich für die Programmautoren, wenn die andersgeschlechtlichen Anteile der potenziellen Partner annähernd gleich sind; denn eine Frau mit "starkem Animus braucht einen Mann mit starker Anima, um glücklich zu werden; und zu einem schwachen Animus passt ein schwache Anima", während eine Frau mit starkem Animus nicht zu einem Mann passt, der bei der Frau in erster Linie verspielte Weiblichkeit sucht.

Generell arbeiten die Autoren mit einer relativ einfachen Kompatibilitätsformel: Leichte Unterschiede in der Ausprägung eines Merkmals ziehen sich an. Extreme Gegensätze gelten jedoch als partnerschaftsungünstig. Sie stellen, wie es heißt, "für die Partnerschaft immer eine hohe Belastung dar." Das gilt für Merkmale wie Introversion und Extraversion, Libido-Energie, Konventionalität, positive Grundeinstellung, Pragmatismus und Partnernähe.

Vor allem bei diesem letzten Merkmal, das den Grad des Verlangens, dem Partner mehr oder weniger nahe zu sein, erfasst, soll nach diesem Test eine Übereinstimmung vorliegen, um glücklich sein zu können. Es ist danach unbedingt notwendig, dass beide Partner gleich viel oder gleich wenig physische, psychische bzw. geistige Nähe suchen.

Ein von diesem Ähnlichkeitsmuster abweichendes Muster für kompatible Beziehungen gilt für Reaktionstendenzen auf Frustrationen. Dabei unterscheiden die parship-Autoren zwischen einer großzügigen Reaktionstendenz, d.h. der Fähigkeit, über Verletzungen der eigenen Bedürfnisse durch den Partner tolerant hinwegzusehen oder deren Auswirkungen zu minimieren, einer melancholische Reaktionstendenz,. worunter die Neigung verstanden wird, sich bei Frustration zurückzuziehen, gekränkt zu sein und still vor sich hin zu leiden, einer ausgleichende Reaktionstendenz, indem man sich mit den Frustrationen scheinbar abfindet und die Belastung dadurch verkraftet, dass man aktiv für einen Ausgleich sorgt, und schließlich die durchsetzungswillige Reaktionstendenz, die dem anderen mit Wort oder Tat zu verstehen gibt, dass die Ursachen der Frustration beseitigt werden müssen.

In einer Partnerschaft kommt es, wie die Test-Autoren zu dieser Dimension betonen, "nicht notwendigerweise auf Gleichheit" an, "sondern vielmehr auf das psychologische Zusammenspiel der typischen Reaktionstendenzen beider Partner. Durchsetzungswilligkeit bei nur einem Partner kann in einer Zweierbeziehung durchaus positiv sein. Sind jedoch beide Partner ausgeprägt durchsetzungswillig, wird es verständlicherweise früher oder später zu Problemen kommen. Wenn beide mit dem Kopf durch die Wand wollen, stürzt das Haus irgendwann ein. Weitaus erfolgversprechender ist die Kombination des Merkmals "Durchsetzungswilligkeit" mit dem Merkmal "Großzügigkeit" oder mit dem Merkmal "Ausgleichend".

Diese komplexen Tests und Auswertungsregeln, deren exakte Regeln die Autoren wie die CocaCola-Rezeptur geheim halten und teilweise sogar patentieren ließen (36), versprechen somit nicht nur eine Hilfe bei der ersten Auswahl potenzieller Partner, sondern auch ein späteres langfristiges Partnerglück. Sie profitieren damit von dem Renommee der Wissenschaft, speziell der Psychologie, und nicht zuletzt der Persönlichkeit Jungs, der immer wieder als Vertrauen schenkende Quelle angeführt wird.

Dabei bleibt es allerdings fraglich, wie ernst die Anbieter selbst ihre Tests und Empfehlungen für ideale Partner nehmen. Wahrscheinlich ist diese besondere Orientierungsdienstleistung in der Flut von Profilen entgegen den erklärten Versicherungen mehr eine Werbemaßnahme für ein kostenpflichtiges Zusatzangebot als ein fundierter wissenschaftlicher Ansatz. So veröffentlicht etwa parship.de einen Erfahrungsbericht von einem "Friedhelm" und einer "Helga", der die Seriosität des Verfahrens sehr in Frage stellt, aber dennoch, wie es in einem guten Testimonial eben der Standard ist, dennoch zu einer Liebe auf den zwar nicht ersten Klick, aber immerhin dann doch - vielleicht sogar noch romantischer - auf den ersten Blick führt.

Dieser Erfahrungsbericht, den der Anbieter selbst veröffentlich, muss einem nüchternen Beobachter der Dating-Szene eher als Satire, denn als überzeugende Begründung für die Qualität des psychologischen Ansatzes erscheinen; denn das für den Anbieter insgesamt zwar versöhnliche Resultat nach einigen Testwirrungen lautet immerhin: Man kann auch trotz fragwürdiger Testergebnisse sein Partnerglück finden.

So hat "Friedhelm" gleich zweimal denselben Test innerhalb eines Jahres gemacht, denn beim "Nachlesen meines ersten Persönlichkeitsprofils hatte ich festgestellt, dass mein Wunsch nach Partnernähe mit nur 72 überhaupt nicht meinem tatsächlichen Gefühl entsprach. Auch wenn natürlich in dem neuen Test nicht alles hundertprozentig hinkam, so hatte sich doch gerade beim Wunsch nach Partnernähe eine erhebliche Änderung ergeben, nämlich ein Wert von nunmehr 114, der meinem tatsächlichen Empfinden eher entsprach: Das ergab schon ein erstaunlich stimmiges Bild."

Aber nicht nur die Reliabilität der Testergebnisse wird in Frage gestellt, sondern auch die Auswahl der auf Grund der Testergebnisse vorgeschlagenen optimalen Partnerinnen. Während sich zu den Kandidatinnen mit bis zu 86 Punkten keine positiv verlaufenden Emailkontakte entwickelten, erhielt Friedhelm offensichtlich ganz unabhängig von den Testergebnissen ein Kontaktgesuch von "Helga", das ihn "neugierig machte. Obwohl nur 58 Matching-Punkte angezeigt wurden, hatte ich gleich ein gutes Gefühl."

So reale sozialstatistische Ähnlichkeiten wie derselbe Beruf, dieselbe Kinderzahl und eine fast gleich lange Zeit seit dem Tod des früheren Ehepartners weckten das Interesse und führten so dazu, dass "Helga" ihren "Friedhelm" gleich beim ersten Zusammentreffen in den Arm nahm, "der Funke eigentlich schon beim ersten Blickkontakt übersprang".

Das Resümee, das die Qualität der bisherigen psychologischen Matching-Tests in Frage stellt, wird dann auch gleich durch "Friedhelm" in seinem Testimonial gezogen: Alle Suchenden können Hoffnung haben, auch wenn die Testergebnisse es nicht erwarten lassen, denn "die Anzahl der gemeinsamen Matching-Punkte" ist nicht "entscheidend".

3. Partnerwahl und -stabilität bei C.G. Jung

Der Psychologe, auf den sich die meisten Online-Tests berufen, ist Jung, was nicht überraschen muss; denn offensichtlich haben für Jung Partnerbeziehungen und -konflikte am Anfang seines Interesses an den menschlichen Typen gestanden. So hat er bereits 1913, also fast ein Jahrzehnt vor der Veröffentlichung seiner „Psychologischen Typen“ 1921 (14), „Zur Frage der psychologischen Typen“ referiert (15, S. 541-551) und diese Thematik auch später erneut aufgegriffen, und zwar in zwei Vorträgen 1923 (15, S.552 – 567) und 1928 (15, S. 568 – 586) sowie einem Aufsatz im Jahre 1936 (15, S. 587 – 601). Schließlich hat er in rückblickenden Gesprächen über sein Lebenswerk, die er mit Evans führte, seine Intentionen nochmals herausgearbeitet (9).

In seinem Vortrag von 1928 über „Psychologische Typologie“ (15, S. 568ff.) geht er auf den biografischen Hintergrund seiner Überlegungen ein und schildert seine außermedizinische Tätigkeit als Eheberater während der Hausbesuche bei seinen Patienten. Dabei verwies er unzufriedene Ehepartner immer wieder auf die unterschiedliche Natur des jeweils anderen Ehepartners. So erklärt er seine "ganze Typenlehre" im Rückblick auch als "eine Art Orientierungsmittel: da gibt es solch einen Faktor wie die Introversion und einen solchen wie die Extraversion. Es ist nur ein Werkzeug - ich nenne es "praktische Psychologie" -, um zum Beispiel einer Frau ihren Ehemann und einem Mann seine Ehefrau zu erklären" (9, S. 79).

Aus diesen konkreten Beobachtungen und seiner kreativen Intuition hat Jung dann nach und nach seine Typologie entwickelt, indem er zunächst zwischen aktiven und passiven, dann zwischen bedenkenden und unbedenklichen Naturen unterschied (15, S. 577), um schließlich seine Typologie aus der Kombination der beiden Einstellungen „extravertiert“ und „introvertiert“ mit den vier Urteilsfunktionen oder Einzelaspekten des „totalen menschlichen Orientierungsvermögens“ (9, S. 84) „Empfindung, Denken, Gefühl und Intuition“ zu entwickeln.

Vollständige Menschen besitzen alle Funktionen, die allerdings nicht gleichwertig ausgeprägt sind. Vielmehr erfolgt eine Konzentration auf eine Hauptfunktion, während die anderen nur rudimentär entwickelt werden (15, S. 581), ja, häufig als Bedrohung der dominanten Funktion auftreten, sodass Verdrängungen und Abschottungstendenzen nicht selten sind.

Wie auf Grund dieser intuitiven und fragmentarischen Entwicklung seines Persönlichkeitskonzepts zu erwarten, stellte Jung über mögliche Partnerkonflikte der Typen nur einige rudimentäre Überlegungen an. Das gilt sowohl für die prinzipiell möglich erscheinende Ergänzung unterschiedlich stark ausgeprägter Funktionen der beiden Partner zu einem Paar, das damit insgesamt über vollwertige Funktionen verfügt, als auch viele empirisch beobachtbare Konfliktbereiche.

So sind für Jung etwa die beiden Einstellungstypen Extraversion und Introversion " für eine Symbiose. . wie geschaffen"; denn "der eine besorgt die Überlegung und der andere die Initiative und das praktische Handeln. Wenn sich die beiden Typen heiraten, so können sie zusammen eine ideale Ehe zustande bringen." (16, S. 100) Allerdings schränkt er dieses Lob der Komplementarität dann sogleich wieder ein, weil die Vorteile von den Betroffenen meist nur in Zeiten der Not gern gesehen. Probleme treten für Jung auf, wenn ein Glücksfall wie eine Erbschaft das heterogene Paar "trifft". "Vorher standen sie Rücken an Rücken und wehrten sich gegen die Not. Jetzt aber wenden sie sich einander zu und wollen sich verstehen – und entdecken, dass sie sich nie verstanden haben." (16, S. 100) Daraus folgt dann ein intensiver Konflikt, über den Jung feststellt: "Dieser Streit ist giftig, gewalttätig und voll gegenseitiger Entwertung, auch wenn er ganz leise im Allerintimsten geführt wird" (16, S.100)

Für Jung kann sich dieser Ehekrieg, der letzthin auf die unterschiedliche Typzugehörigkeit der Partner zurückzuführen ist, sogar noch verschärfen, wenn auch die Urteilfunktionen differieren, wie etwa beim Empfindungs- und Intuitionstyp. Da nach seinem Urteil der extravertierte Empfindungstyp am weitesten entfernt von einer inneren Erfahrung ist, richtet er sich nach Tatsachen, die für Intuitive die "Hölle" (9, S.89) sind. In einer Ehe hat diese Kombination dann für Jung ein gravierendes Konfliktpotenzial. "Wenn diese beide – die extravertierte Empfindung und die introvertierte Intuition - eine Ehe schließen, dann gibt es Kummer, das kann ich Ihnen versichern."(9, S. 89)

In der Jung-Tradition wird daher die Verbindung unterschiedlicher Typen vor allem als großes Problem der Eheberatung gesehen, da sie von einer ausgesprochene Neigung ausgeht, den entgegengesetzten Typus zu heiraten. Die Gegensätze, die sich offenbar zunächst anziehen, unterschätzen jedoch später jeweils den anderen, weil sie "das Negative statt des Positiven" sehen, was zu endlosen Missverständnissen führt (9, S. 30). Jeder Partner in einer nach den Typen heterogenen Beziehung „spricht eine andere Sprache und die Werte des einen sind für den anderen gerade die Verneinung der Werte." (16, S. 100), sodass die Partner gegenseitig ihre Interessen oder die Interesselosigkeit und auch ihre Freunde“ (9, S.36) kritisieren. Jeder „fühlt sich missverstanden und bemitleidet sich schließlich selbst, oder man sieht sich nach jemandem um, der einen besser versteht, und das notwendige Mitgefühl hat oder es wenigstens zu haben scheint." (9, S. 36)

Die Ergänzung eines Partners durch einen, der gerade die bei einem selbst nur rudimentären Persönlichkeitsmerkmale voll entwickelt hat, wird daher als zwar gut zur "Anpassung an Lebensnotwendigkeiten" beurteilt, wirft aber Probleme beim Verständnis und bei der Kameradschaft auf. (9, S. 36) Für dieses psychologische Folgeproblem der Partnerwahl empfiehlt Ford eine intensive Aufklärung über die Unterscheide und ihre Vorteile, die "in vielen Fällen nur durch psychologische, objektive Hilfe erreichbar" (9, S.37) ist.

Aber nicht nur in der Verbindung unterschiedlicher Typen sieht Jung Probleme, sondern auch bei der Beziehungsfähigkeit einiger Typen ganz generell, vor allem weil bei ihnen Kompetenzen und Handlungsorientierungen unterentwickelt sind, die erst eine stabile Partnerschaft ermöglichen. Gerade in einigen Randbemerkungen weist er immer wieder auf diese besonderen Schwierigkeiten hin. So besitzt etwa der introvertierte Fühltyp, der für Jung meist durch Frauen repräsentiert wird, eine "mörderische Kälte" (14, S.558), die jede Emotion erstickt, und während er auf der Seite des männlichen Geschlechts bei introvertierter Denktypen wie etwa dem deutschen Philosophen Kant Selbstschutzmaßnahmen zur Abwehr "magischer" Einwirkungen und daher z.B. Angst vor dem weiblichen Geschlecht konstatiert (15, S. 406f.).

Nur geringe Bindungsfähigkeit sieht es auch bei extravertierte Empfindungstypen, die Genussmenschen ihre Liebe auf die sinnfälligen Reize der Objekte beziehen, und beim extravertierten intuitive Typ, der “immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und dann, wenn er fündig geworden ist, zunächst voller Enthusiasmus, aber nach einem kurzen Strohfeuer wird die Beziehung ohne jede Pietät aufgegeben.“ „Sie sind unmoralische und rücksichtslose Abenteurer“, die als Frauen "Männer mit Möglichkeiten", um für neue Möglichkeiten wieder alles aufzugeben. (15, S. 401)

Mehr Beständigkeit sieht Jung beim introvertierter Fühltyp, dem er „eine gewisse geheimnisvolle Macht“ zuschreibt, "welche namentlich den extravertierten Mann in höchstem Maße faszinieren kann, weil sie sein Unbewusstes berührt." (15, S. 425).

Die wenigsten Probleme sieht Jung jedoch offensichtlich beim weiblichen Fühltyp; denn diese Frau liebt den "passenden" Mann , „nicht etwa, weil er dem subjektiven verborgenen Wesen der Frau durchaus zusagte – das weiß sie meistens gar nicht -, sondern weil er in punkto Stand, Alter, Vermögen, Größe und Respektabilität seiner Familie allen vernünftigen Anforderungen entspricht“ (14, S.512)

Wie Jung betont, ist das keineswegs ironisch oder satirisch zu verstehen, da er der “vollen Überzeugung“ ist, dass das Liebesgefühl dieser Frau ihrer Wahl auch vollkommen entspricht. Es ist echt und nicht etwa vernünftige Mache. Solcher "vernünftigen" Ehen gibt es unzählige, und es sind keineswegs die schlechtesten. Solche Frauen sind gute Gefährtinnen ihrer Männer und gut Mütter, solange ihre Männer oder Kinder die landesübliche Konstitution besitzen“ (14, S.512).

Eine frühe Systematisierung der Jungschen Anmerkungen versuchte Plattner (27), der dank seiner „sorgfältigen Beobachtung sehr zahlreicher Ehepaare“ (27, S. 27) glaubt, mit Hilfe der Jungschen Typen ein Bindungsgesetz für romantische Beziehungen und Ehen entdeckt zu haben, das er ganz in der Tradition von Goethes Roman "Die Wahlverwandtschaften" sieht. Danach besteht ein "Ergänzungsbesteben", indem Extravertierte Introvertierte suchen. Dieses Komplementaritätsprinzip gilt auch für die vier Jungschen Funktionstypen, wobei hier die Partner jeweils verschiedene Pole der rationalen bzw. irrationalen "Achse" darstellen, sich also Denk- und Fühltyp oder Empfindungs- und Intuitionstyp verbinden.

Aus den acht menschlichen "Typ-Elementen" bilden sich so vorrangig nur jeweils zwei rationale und irrationale Partnerschaftstypen, denn durch die typspezifische Bindungsgesetzmäßigkeit ist der jeweilige Partner quasi vorgegeben, weil ein extravertierter Fühltyp beispielsweise in der Regel einen introvertierten Denktyp als Partner wählen wird und nicht etwa einen extravertierten Fühl-, Empfindungs- oder Intuitionstypen.

Diese natürliche Wahlverwandtschaft der menschlichen Typen führt nach dem Urteil Plattners allerdings nicht zwangsläufig zu besonders harmonischen Beziehungen. Die Entdeckung des Bindungsgesetzes kann für ihn vielmehr dabei helfen, die typischen Muster der Partnerschaftskonflikte herauszuarbeiten und damit Beratungsangebote zu entwickeln. Schließlich ist die Zahl der Konstellationen sehr begrenzt, da man es nur mit den Gegensätzen und Verständnisproblemen von Extravertierten und Introvertierten, Denk- und Fühl- sowie Empfindungs- und Intuitionstypen zu tun hat.

Charakteristika ergeben sich dabei jeweils aus der jeweiligen Kombination des Funktionstyps mit der extravertierten oder introvertierten Orientierung. "Je extremer ein Mensch extravertiert ist, um so stärker neigt er erfahrungsgemäß dazu, einen extrem introvertierten Menschen zum Partner zu wählen. Es ist, als ob durch diese Ergänzungstendenz die Natur beständig bestrebt wäre, Extremformen auszuschalten und durch eine Vermischung der Extreme die Art immer wieder auf die Mittellinie zurückzuführen." (27, S. 24)

Immerhin sollen nach seinem Urteil 70% aller Ehen so genannte "Kontrast-Ehen" sein, d.h. Ehen, in denen die Ehegatten sowohl auf körperlichem wie auch auf seelischem Gebiet in wichtigen Punkten kontrastieren. (27, S. 13)

4. Empirische Persönlichkeitsmerkmale und Partnerschaftszufriedenheit

Waren diese Urteile noch das Ergebnis sorgfältiger Beobachtungen erfahrener Psychologen, versuchten Isabel Briggs Myers und ihre Mutter Katharine Briggs (25, 26) das Jungsche Konzept der Persönlichkeitstypen empirisch messbar zu machen, indem sie den MBTI (Myers-Briggs Type Indicator) entwickelten. Ihre Typbeobachtung sollte dabei dazu dienen, dass sich Menschen selbst richtiger einschätzen und verstehen, sodass sie einen Beruf oder auch einen Lebenspartner wählen können, der ihrer Persönlichkeit am besten entspricht. Die Zuordnung zu einem Persönlichkeitstyp sollte also zu einem glücklicheren Leben führen.

In der Praxis wichen die beiden Autorinnen in einigen Bereichen von dem ursprünglichen Konzept Jungs ab, sodass sie schließlich statt der acht Typen bei Jung insgesamt 16 erhielten. Aber in diesem quantitativen Anwachsen steckt nicht nur eine größere Differenzierung, sondern auch eine prinzipielle Abweichung. Während sich für Jung zwischen den Einstellungsdimensionen und den Urteilsfunktionen interaktive Effekte ergeben, betrachten Myers-Briggs die Dimensionen als unabhängig, sodass sich die Eigenschaften praktisch addieren lassen.

Hatte Jung Denk- und Fühltyp als rational und Empfindungs- und Intuitionstyp als irrational zusammengefasst, gilt innerhalb des MBTI diese zentrale Unterscheidung, die Plattner (27) sogar als Grundlage seines Bindungsgesetzes gesehen hat, nicht mehr; denn eine Person kann bei ihnen gleichzeitig rational und irrational sein, etwa sowohl als Denk- als auch als Intuitionstyp eingeordnet werden; denn die rationale und die irrationale Urteilsfunktion erhalten bei ihnen den Status unabhängiger Dimensionen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden nur dadurch abgemildert, dass die beiden Autorinnen eine vierte Dimension einführen, die Jung so nicht kennt. Neben Extraversion (E) – Introversion (I), Denken (T) – Fühlen (F) und Empfinden (S) - Intuiren (N) differenziert das Gegensatzpaar Urteilen (judging) – unreflektiertes Wahrnehmen (perceiving) zwischen urteilend-planenden und wahrnehmend-spontanen Persönlichkeiten. Diese Dichotomie bringt also den Rationalitätsaspekt als getrennte unabhängige Dimension wieder ein. Auf diese Weise soll erkennbar bleiben, ob das rationale Typenpaar T-F oder das irrationale S-N bei einem Menschen besonders entwickelt ist.

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die Konzepte von Jung und Myers-Briggs einen

unterschiedlichen wissenschaftlichen Status besitzen. Während Jung intuitiv und vereinfachend zentrale Aspekte der Persönlichkeit herausarbeiten will, führen die Autorinnen des MBTI konkrete empirischen Messungen durch. Dadurch muss der Begriff des Typs zwangsläufig einen differierenden Charakter besitzen. War er bei Jung nur eine sprachliche Vereinfachung, die es in der komplexen Realität gar nicht gibt, wie er explizit betont, erlangt er im MBTI den Staus einer empirischen Kategorie, der nur gerechtfertigt ist, wenn die Messwerte tatsächlich eine binominale Verteilung aufweisen, also in der Realität eine polare Differenzierung besteht.

Diese offensichtlichen Mängel und Abweichungen von den Jungschen Ideen haben der Popularität des MBTI jedoch keineswegs geschadet, denn es wird vor allem in den USA erheblich häufiger verwendet als andere Tests (2, S.234), die die Jungsche Typologie empirisch messbar machen wollen, wie es beispielsweise auch das Singer-Loomis Type Deployment Inventory (SL-TDI) versucht (1).

Nachdem der MBTI drei Jahrzehnte lang in der psychologischen Praxis vor allem der USA eine herausragende Rolle gespielt hat (2, S. 233), gilt dieses faszinierende Persönlichkeitsmodell inzwischen als überholt. Verantwortlich ist hierfür eine besondere Schwäche des Konzepts, die vielleicht früher sogar seinen besonderen Reiz ausgemacht hat. Die Typologie beruht letzthin auf den objektiv kaum greifbaren Erfahrungen ihrer Autoren, die für eine empirisch orientierte Wissenschaft bestenfalls den Stellenwert einer Hypothese besitzen; denn sie sind - benutzt man einmal die Jungschen Begriffe - Ergebnisse der Intuition, während die Sinne, die der physischen Wirklichkeit außerhalb des Bewusstseins näher sind, vielleicht die Persönlichkeitsstrukturen, wie sie sich in den Einstellungen und dem Verhalten von Menschen messbar zeigen, ganz anders erfassen.

Daher haben stärker empirisch orientierte Psychologen versucht, ohne derartige Vorahnungen über Typen in der Vielfalt der Menschen Muster zu finden, indem sie nach empirisch-statistisch nachweisbaren Ähnlichkeiten gesucht haben. Ihre Modelle basieren also auf Empirie und nicht auf Theorie.

Dieser Ansatz kann Antworten auf zwei sehr spannende Fragen geben. Zum einen auf die ganz generelle Möglichkeit, ob sich überhaupt die Individualität vereinfacht fassen lässt. Eine positive Beantwortung kann dann auch eine zweite Frage klären: Hat Jung ohne die Hilfe von umfangreichen Testmethoden etwas Richtiges erahnt oder hat ihn schlicht und einfach

der Wunsch oder eine andere Täuschung des Bewusstseins auf eine falsche Fährte gelockt?

Besonders der britische Psychologe Eysenck hat sich mit diesen Fragen sehr intensiv beschäftigt und ist zu einem Ergebnis gelangt, das zwar nicht unumstritten ist, aber auch von anderen Psychologen, die ein abweichendes Vorgehen gewählt haben, zumindest in den groben Zügen bestätigt wird. In seinen Untersuchungen fand Eysenck (7) zwei Grundpersönlichkeitsdimensionen, die er als Introversion - Extraversion und Neurotizsmus bezeichnete. Diese Hauptdimensionen nennt er Typen, wobei dieser Begriff bei ihm eine Skala mit zwei Endpunkten bedeutet, sodass jeder konkrete Mensch zwischen die beiden Extreme fällt und nicht einem von zwei polaren Typen zugeordnet wird.

Sein auf Grund von empirisch auftretenden Korrelation mit Hilfe der Faktorenanalyse definierter Begriff von Extraversion umfasst Eigenschaften wie Geselligkeit, Impulsivität, Aktivität, Lebhaftigkeit und , die zwar bei konkreten Personen gebündelt, aber jeweils um einen Mittelwert auf einer Extraversion-Introversion-Skala streuen.

Emotionale Instabilität, die Eysenck zumeist als Neurotizismus bezeichnet, ist hingegen ein Konglomerat von Eigenschaften, die einer Partnerschaft generell eher abträglich sind: Minderwertigkeits- und Schuldgefühle in Verbindung mit Angst, Zwanghaftigkeit und Abhängigkeitsvorstellungen, was alles zudem in eine Stimmung von Hypochondrie und Depressivität mündet.

Mit Hilfe dieser Persönlichkeitstypen sind Vater und Sohn Eysenck (8) zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Persönlichkeitsstrukturen Einstellungen und Verhaltensmuster erklären können, so etwa sexuelle Präferenzen und damit das Intimverhalten, das einen zentralen Konfliktbereich von Beziehungen darstellt.

Sieht man eine befriedigende Sexualität, die ohne Promiskuität auskommt, als wichtige biologische Grundlage einer guten Paarbeziehung an, so stehen dem zwei psychische Hindernisse in der Persönlichkeitsstruktur im Wege. Zum einen lassen sich sehr Extravertierte nur schwerlich sexuell erregen, sodass sie mehr als eine Sexaffäre gleichzeitig "brauchen". Noch gravierender sind jedoch die Folgen hoher Neurotizismuswerte. Schuldgefühle und Hemmungen verhindern hier eine sexuelle Befriedigung, ja, dem Sexualpartner werden sogar nicht selten feindselige Gefühle entgegengebracht. Die Sexualität führt also die Partner emotional nicht zusammen, sondern trennt sie eher.

Die Untersuchungen an eineiigen Zwillingen haben allerdings auch Unterschiede bei der Vererbung von Persönlichkeitswesenszügen sichtbar gemacht. So lässt sich, greift man einmal Extreme heraus, bei der Extraversion ein Anteil des genetischen Faktors von 61% annehmen, während es bei der Intimität, d.h. der Bevorzugung emotionaler Nähe, nur 33% sind. Die Menschen sind also nicht gleich und können ihre Unterschiede auch nicht mit etwas gutem Willen einfach ändern, sodass eine Formung des "unpassenden" Partners ein praktisch unmögliches und damit zerstörerisches Unterfangen ist.

Die Verbindung von zwei Partnern, die relativ große Abstände auf Skalen haben - in der Sicht Jungs und des MBTI wären es die gegensätzlichen Typen - birgt zumindest zunächst viel Konfliktpotenzial in sich. Der eine geht beispielsweise hohe Risiken ein, während der andere immer auf der ganz sicheren Seite stehen will. Wie soll da eine große gemeinsame Anschaffung erfolgen? Durch Sparen oder Kreditaufnahme? Oder - wählt man ein anderes Beispiel - der eine geht gern aus, um auf Parties und Festen neue Energie zu tanken, während der andere mehr Interesse an der Zweisamkeit zu Hause oder einen romantischen Abend im Restaurant und Theater benötigt. Eine Lösung, die keine Trennung ist, verlangt hier sehr viel Kompromissbereitschaft, denn die Belohnungen und Bestrafungen für die beiden so verschiedenen Psychen bewegen sich eben nicht im Gleichklang, sondern verhalten sich konträr. Der eine freut sind, während der andere leidet und umgekehrt.

Parallel zu den Eysenckschen Untersuchungen haben sich auch andere Psychologen mit der empirischen Persönlichkeitsforschung beschäftigt. Mitte der 1980ziger Jahre hat sich dabei aus einer zunehmenden Zahl von Untersuchungen bei einer wachsenden Zahl von Wissenschaftlern die Überzeugung herausgebildet, dass ein Persönlichkeitsmodell mit etwa fünf Faktoren angemessen und hinreichend ist, um die Vielfalt individueller Unterschiede auf höchster Ebene zu erfassen und zu beschreiben. Das so genannte Fünf-Faktoren-Modell oder die “Big Five” waren geboren (25).

Diesem Konzept liegt ein sehr einfacher Gedanke zugrunde. Da Theorien, Vorstellungen und Modelle nichts anderes als begriffliche Metaphern sind, wurde die Sprache selbst daraufhin untersucht, wieweit sich in ihr Begriffe herausgebildet und niedergeschlagen haben, die unmittelbar persönlichkeitsbeschreibend sind. So erfasste man in diesem lexikalischen Ansatz mit Hilfe der Wörter, die eine Sprache besitzt, um eine Persönlichkeit zu beschreiben, konkrete Personen und stellte dann mit Hilfe eines Verfahrens der Datenanalyse, der Faktorenanalyse fest, welche Kombinationen in der Realität tatsächlich auftreten.

Dabei fand man vor allem fünf Faktoren oder empirische Persönlichkeitsdimensionen, die sich durch Adjektive polar beschreiben lassen (25, S.26):

Introversion - Extraversion : ruhig, reserviert, schüchtern , unabhängig- redselig, energiegeladen, ausdrücklich

Freundlichkeit - Schwierigkeit : sympathisch, gutmütig, liebevoll - hartnäckig, zänkisch, streitsüchtig

Gewissenhaftigkeit - Unverantwortlichkeit : geordnet, verantwortlich, vorsichtig - gleichgültig, frivol, unzuverlässig

Neurotizismus - Postives Denken : ängstlich, besorgt, labil, leicht erregbar - leise, zufrieden, optimistisch

Offenheit - Geschlossenheit gegenüber neuen Erfahrungen : kreativ, aufgeschlossen, intellektuell, vorurteilslos - konkret, pragmatisch, einfallslos

Costa und McCrae konnten nachweisen, dass es - unabhängig von den eingesetzten Fragebogeninstrumenten, von den verwendeten statistischen Methoden und sogar von den Kulturräumen mit ihren unterschiedlichen Sprachen - fünf robuste Faktoren als stabile Grunddimensionen der Persönlichkeit gibt. Diese fünf Faktoren - die “Big5” - können dabei sowohl in Adjektivlisten identifiziert werden als auch in multidimensional aufgebauten Persönlichkeitsfragebögen. Sie finden sich gleichermaßen in Selbst- wie in Fremdbeschreibungen von Personen durch Bekannte und Familienangehörige. Diskussionen gibt allerdings über die Benennung der fünf Faktoren.

Auf dieses empirische Persönlichkeitsmodel greift auch, wie erwähnt, der Matching-Test von match.com (36) zurück.

Obwohl von der Bezeichnung her nur eine Übereinstimmung zwischen dem MBTI und den Big5 mit der Dimension Extra-/Introversion vorzuliegen scheint, bestehen empirisch gesehen weitere hohe Korrelationen zwischen verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen, die einmal intuitiv und deduktiv, im anderen Fall jedoch empirisch ermittelt worden sind. Das weist sicherlich nicht nur auf die besonderen Fähigkeiten der Intuitiven, sondern auch darauf hin, dass in der Jungschen Typologie keiine wissenschaftlichen Artefakte vorliegen.

Neben einer Korrelation von 0,7 zwischen den von beiden Ansätzen empirisch unterschiedlich gemessenen Extraversionsskalen besteht ein ähnlich hoher Zusammenhang zwischen der S-N-Typisierung und der O-Skala bei den Big5, die die Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen misst (25, S.20ff.). Geringe Zusammenhänge bestehen zudem zwischen der TF-Typiseirung und der A-Skala mit r = 0,4, die sich auf die Freundlichkeit bezieht, und der JP-Typiserung und gleich zwei Skalen des Big5-Modells, und zwar ebenfalls der O-Skala mit r = 0,3 und der C-Skala (r = 0,4), die mit Gewissenhaftigkeit verbalisiert wird.

Sind schon in diesen beiden Dimensionen die Ergebnisse nicht mehr so überzeugend, gilt das insbesondere für die Neurotizismus-Skala, die gerade bei der empirischen Analyse von Beziehungen eine zentrale Bedeutung besitzt.

Die empirische Forschung hat sich allerdings auch mit dem zweiten Schritt der Wahl kompatibler Partner auseinandergesetzt. Geht man generell von der Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten aus, fragt es sich zwangsläufig, welche Merkmale dazu beitragen können, dass sich eine "gute" Beziehung entwickeln kann. Die Qualität lässt sich dabei unterschiedlich definieren. Neben dem formalen Bestand, also der Ehedauer oder einer erfolgten Scheidung, wird vor allem auf die Ehezufriedenheit (marital satisfaction) (3, 17, 19, 28)abgestellt, also das „subjektive Erleben von Glück und Zufriedenheit mit der eigenen Ehe und dem Ehepartner.

Als wichtige Erklärungsgröße für die Zufriedenheit mit einer Partnerschaft hat sich dabei ein ausgewogenes Verhältnis von „Input“ und „Ergebnis“, eine Gleichwertigkeitsbalance (29), herausgestellt, wie es die so genannte Equity-Theorie postuliert. Danach sind beide Partner in einer Beziehung besonders zufrieden, wenn sich keiner in der Beziehung bevor- noch benachteiligt fühlt. Die zunächst überraschende Unzufriedenheit eines möglichen Profiteures wird mit einer Instabilität der Beziehung bei unausgeglichener Equity und damit einer latenten Angst vor dem Verlassenwerden durch den benachteiligten Partner erklärt.

Als weitere Determinante der Zufriedenheit hat sich die wahrgenommenen Übereinstimmung seines Lebenspartners mit einem idealen Partner herausgestellt, wobei als besonders positiv eine Übereinstimmung von Partnerideal und Selbstideal erlebt wird.

Betrachtet man die individuellen Persönlichkeitsmerkmale der beiden Partner im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Partnerschaftszufriedenheit, so lassen sich drei Fälle unterscheiden:

- sie können generell positiv oder negativ wirken

- sie können, wenn sie bei beiden Partner sehr ähnlich sind, die Zufriedenheit begünstigen.

- sie können, wenn sie sich bei beiden Partner in geeigneter Weise ergänzen, die

Partnerschaftsqualität beeinflussen.

Blum/Mehrabian (3) untersuchten einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und der Ehezufriedenheit. Dabei gelangen sie zu zwei zentralen Aussagen für die Partnerwahl.

Zum einen hängt die Zufriedenheit in signifikanter Weise von den eigenen Persönlichkeitsmerkmalen ab (3, S. 108ff.), wobei wenig neurotizistische und freundliche Personen besonders positive Urteile abgeben. Ganz unabhängig vom jeweiligen Partner sind hingegen feindselige, ungeduldige Menschen, die glauben, ihr Leben sei fremdbestimmt, in der Regel nur wenig zufrieden. Allerdings erklärt der Neurotizismus nur 5% der Gesamtvarianz des abhängigen Merkmals Ehezufriedenheit, sodass dieses Persönlichkeitsmerkmal zwar Risiken andeutet, aber kein unentrinnbares Schicksal determiniert. Zusätzlich fand noch zusätzliche Auswirkungen von Persönlichkeitsmerkmalen des Partners, und zwar seines Neurotizismus, seiner Freundlichkeit und Offenheit, also einen analogen Effekt wie beim befragten Partner selbst. Die eigenen Persönlichkeitsmerkmale erklären allerdings insgesamt den größten Teil der Varianz der Partnerschaftszufriedenheit

Wenn sich zwei sehr gegensätzliche Partner ein Paar bilden, scheint das einem aufmerksamen Beobachter zwar besonders aufzufallen. Es gibt jedoch insgesamt gesehen keine Tendenz dafür, dass sich Partner mit gegensätzlichen Persönlichkeitsmerkmalen anziehen. Die in den 1950er Jahren dominierende Komplementaritästtheorie bei der Partnerwahl muss an Hand empirischer Daten als falsifiziert gelten, denn es zeigt sich bei den Temperamenten eine wenn auch nur schwache Tendenz zur Homogamie. (25, S. 113)

In einer Studie, die sich auf der Grundlage des MBTI mit der Bedeutung unterschiedlicher Typen in Partnerschaften beschäftigte (24), fanden die Autoren nur für zwei Typen Ausnahmen, denn ESTJ heirateten besonders häufig INFP-Frauen und ESTP-Männer INFJ-Frauen. Introvertierte Männer der Typen INFP, INFJ und INTP heirateten hingegen überdurchschnittlich Frauen ihres Persönlichkeitstyps. Generell wird daher eine Tendenz zur Homogamie auch nach den Persönlichkeitsmerkmalen des MBTI konstatiert.

Unterschiede ergaben sich weniger für die Typenkombinationen als für die Angehörigen einzelner Persönlichkeitsmerkmale. So wurden die Angehörigen der P-Typen häufiger geschieden als die der J-Typen, und Extravertierte waren insgesamt mit ihren Beziehungen zufriedener als Introvertierte. Diese typ-spezifische Zufriedenheit lässt sich sogar noch stärker differenzieren. So waren nur ganz wenige Männer unzufrieden, wenn sie eine ENFJ- oder ENFP-Frau geheiratet hatten, während relativ wenige Frauen mit INTP-, INFP- und ISFP-Männern glücklich waren.

Allerdings darf die Bedeutung der Zufriedenheitsmessung für die Beurteilung von Partnerschaften nicht überschätzt werden; denn Ereignisse wie der Gewinn in einer Lotterie oder auch eine Eheschließung, haben, wie zuletzt Lucas et al. (19) feststellten, nur einen sehr bedingten Einfluss auf die Lebensfreude und Zufriedenheit. Zwar erfolgt zunächst zwar generell ein positiver Effekt, der jedoch anschließend wieder schwindet, um sich auf einem generellen Basisniveau zu stabilisieren. Diese Tatbestände sprechen dafür, dass möglicherweise genetisch bedingte Persönlichkeitsmerkmale jedes einzelnen und nicht die Partnerschaftsrealität für die Zufriedenheit verantwortlich sind.

Auch wenn schon Scheidungen und Zufriedenheitseinstellungen die Partnerschaftsqualität messbar machen, sind sie in ihrer Aussage keineswegs konkordant, denn auf Grund sozialer Kontrollmechanismen wie einem gemeinsamen Freundeskreis (6) lassen sich unzufriedene Partner keineswegs immer scheiden, sodass die Partnerschaftsbeurteilung allein kaum eine Prognose für den Bestand einer Beziehung erlaubt. Die Operationaliserung der Qualität einer Beziehung ist daher keineswegs eindeutig, aber auch ein weiterer Aspekt relativiert die Bedeutung dieser Versuche, die von einer statischen Sicht einer Partnerschaft ausgehen.

Wie vor allem Eheberater betonen, darf eine Partnerschaft nicht nur als eine Addition von zwei Personen gesehen werden, sondern stellt zusätzlich eine Ganzheit dar, ein System, das damit einen Rahmen für die weitere Entwicklung seiner Mitglieder bieten kann. Willi nennt dieses Potenzial, das in einer Beziehung mehr oder weniger erschlossen wird, die Koevolution der Partner (29), worunter er die Persönlichkeitsentwicklung der Partner im Zusammenspiel miteinander versteht. Hintergrund ist dabei ein klassisches Liebes-Konzept der Psychoanalyse, das die romantische Emotion weniger als glücklichen Zufall, sondern als Chance und Aufgabe sieht. „Alle Versuche zu lieben müssen fehlschlagen, sofern er nicht aktiv versucht, seine ganze Persönlichkeit zu entwickeln, und es ihm gelingt, produktiv zu werden.“(11, S. 9)

Auch Jung hat schon auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht, wenn er auf die neuen Eigenschaften des Moleküls „Dyade“ gegenüber seinen beiden Ausgangselementen verweist: „Das Zusammentreffen von zwei Persönlichkeiten ist wie die Mischung zweier verschiedener Körper: Tritt eine Verbindung überhaupt ein, so sind beide gewandelt.“ (27, S. 23)

Stellt schon die Messung der Zufriedenheit die Empiriker vor große Schwierigkeiten, gilt das um so mehr für die Erfassung dieses Potenzials von ungenutzten Entwicklungsmöglichkeiten, die in jeder Persönlichkeit verborgen sind und in einer Partnerschaft mehr oder weniger freigesetzt werden können. Dennoch darf dieser Aspekt der Beziehungsqualität nicht aus den Augen verloren werden, da eine fehlende oder problematische Operationalisierung für die Beurteilung einer Beziehung schließlich keine Bedeutung hat, denn eine Ganzheit ist zumindest von ihren Möglichkeiten her immer mehr als die statisch erfasste Summe ihrer Teile.

5. Das Konzept des sozionischen Duals

Die Vorstellung von der Beziehung zweier Menschen als System ist relativ alt, denn den Jungsche Gedanken der fehlenden Vollständigkeit kannte schon die Antike mit ihrer Sage von einem ursprünglichen Menschen, der aus einer Einheit von Mann und Frau bestand. Diesen mythologischen Kugelmenschen lässt der griechische Philosoph Platon durch den Komödiendichter Aristophanes in seinem philosophischen Diskurs 'Symposium' beschreiben. Danach gab es ursprünglich Kugelwesen aus jeweils zwei Menschen, die sich so stark und kräftig fühlten, dass sie sogar die Götter herausforderten. Um sie zu schwächen, schnitt sie Zeus daher in zwei Hälften und von ihrer ursprünglichen Ganzheit blieb nur die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung mit der anderen Hälfte.

Vor allem die Sozionik, die sich selbst als Wissenschaft der Gesetze menschlicher Kompatibilitäten versteht und 1970 von der litauische Wirtschaftswissenschaftlerin und Soziologin Aushra Augustinavichute begründet wurde (22, 23), hat diesen Gedanken in den Mittelpunkt ihrer theoretischen Überlegungen gestellt. In ihrer konkreten Analyse hat sie Konflikte und Reibungen in Arbeitsgruppen auf eine problematische Kombination der Persönlichkeitstypen ihrer Mitglieder zurückgeführt, wobei die Jungschen Typen mit ihren differierenden Stärken und Schwächen als Grundlagen dienen, sodass aus unterschiedlichen Kombinationen Konflikte, aber auch Ergänzungen resultieren können. Erstrebenswertes Ziel ist dabei die Suche nach Partnern, bei denen der eine mit seinen Stärken die Schwächen des anderen ausgleicht, also eine "vollkommene" Ganzheit entsteht, die das von Plato in einem Mythos bemühte Bild von einem ursprünglichen Kugelmenschen Wirklichkeit werden lässt.

Das zentrale Problem bleibt dabei eine relativ konfliktfreie Ergänzung, wie es schon bei Jung und vielen seiner Schüler gesehen wurde. Das theoretische Potenzial der Persönlichkeitsqualitäten, die sich ergänzen und damit das Paar gegenüber seinen beiden Teilen, die immer nur Teilfunktionen voll entwickelt haben, vervollkommnen sollen, kollidiert in der Praxis mit der schon von Jung gesehenen Verständnislosigkeit der Partner, die für die Partnerschaft dann Konflikt und nicht Synergie bedeutet.

Diesen Circulus Vitiosus versucht die Sozionik durch eine besondere Kombination von Komplementarität und Homogenität zu lösen. Den Katalysator, der zur Nutzung des Potenzials führt, das in der Kombination von Stärken und Schwächen beider Partner liegt, sieht sie dabei in der im MBTI eingeführten vierten Dimension, die für die rationale bzw. irrationale Orientierung bei Jung steht; denn sie bezieht sich auf die Dichotomie planmäßiges versus improvisiertes Handeln nach Inspiration, Emotionen und Impulsen. Es geht um die Verwendung von Informationen, die entweder zum Entwurf eines Zweck-Mittel-Kalkül dienen können oder auf die einfach nur spontan reagiert wird.

Dieser Dimension des zeitlichen Orientierung des Handelns wird eine Schlüsselstellung zugesprochen; denn Extra- und Introvertierte, Denk- und Fühl- bzw. Empfindungs- und Intuitionsfunktion ergänzen sich zwar prinzipiell, allerdings gelingt diese Synthese praktisch nur, wenn die Partner entweder beide langfristig-planerisch oder kurzfristig-spontan handeln. Der ersehnte Kugelmensch kann sich danach in der Partnerschaftsrealität nur wiederfinden, wenn nicht einer der Partner in den Tag hinein leben will, während der andere sein Leben nach Zielen gestalten möchte.

Die Problematik einer Beziehung zwischen planend-urteilenden und spontan-wahrnehmenden Persönlichkeiten lässt sich an der Fabel "Die Ameise und die Grille" des griechischen Dichters Äsop illustrieren. Der Autor schildert darin ein winterliches Gespräch zwischen den beiden Insekten, das sich auf die unterschiedliche Lebensweise der beiden Arten bezieht. Die Ameise hat während der Vegetationsperiode einen Nahrungsvorrat angelegt, während die Grille den Sommer genossen hat, ohne für den kommenden Winter vorzusorgen. Dabei macht die Ameise die hungernde Grille für ihr Schicksal verantwortlich und gibt ihr daher nichts von ihrem mühsam eingesammelten Vorrat ab. Beide Arten "verstehen" sich also nicht und gelangen auch nicht zu einer Kooperation.

Allerdings werden auch in der Sozionik duale Beziehungen nicht als magische Verbindungen von konträren Polen erwartet. Die schon von Jung geschilderten Verständigungsschwierigkeiten zwischen Extravertierten und Introvertierten oder Denk- und Fühltypen werden durchaus gesehen. Sie erfordern eine längere Lern- und Erfahrensphase, an deren Ende die Erkenntnis der Vorteile steht. So werden die Unterschiede zunächst häufig als faszinierend erlebt, bis dann eine Periode der Ernüchterung eintritt, in der die Partner erst ganz allmählich die Vorzüge des anderen kennen lernen und ihre Vorteile für das gemeinsame Leben erfahren müssen; sie also die Unterschiede nicht als unüberbrückbare Verständnisprobleme beklagen, sondern als hilfreiche Ergänzungen schätzen.

6. Gegenseitiges Verständnis oder synergetische Ergänzung?

Die Begegnung mit einem Fremden, wie sie Frank Sinatra in "Strangers in the night" besingt, kann eine faszinierende Wirkung auf die Beteiligten ausüben, wenn sie entdecken, dass sie einander vollkommen verstehen. Dasselbe gilt für die Erfahrung von Partnern, die wortlos kommunizieren können, einfach weil sie ähnlich empfinden und denken. (18, S. 55)

Wie gerade die Beiträge der Evolutionspsychologie und -biologie belegen (12), besteht eine Tendenz zu Dyaden aus genetisch ähnlichen Partners, da dieses Selektionskriterium den Fortbestand des eigenen Genpools und damit erreichter Selektionsleistungen sichert, also nach und nach Personen, die diese Eigenschaften nicht haben, verdrängen wird. Immerhin werden auch andere typische Merkmale der Partnerselektion durch diesen reproduktiven Vorteil erklärt, so die Wahl junger Partnerinnen durch Männer und von physisch großen Männern in sozial gesicherten Positionen durch Frauen.

Wirkt so die biologische Selektion wie eine unsichtbare Hand bei der Durchsetzung eines maximalen Nutzens bei der Arterhaltung und –fortentwicklung, bieten Positionen der ökonomischen Nutzenerwartungstheorie (5) ein individuelles Erklärungsmuster dar. Danach werden Partner bevorzugt, die jeweils einen hohen erwartbaren Nutzen versprechen. Innerhalb des biologischen Rahmens kann dabei der subjektiv erwartete Nutzen in sehr verschiedenen Eigenschaften gefunden werden., wie etwa in gegenseitigem Verständnis, optimalem gemeinsamem Lustgewinn im sexuellen Bereich, dem arbeitsteiligen Aufbau eines gemeinsamen Wirtschaftsbetriebes oder auch der traditionellen Sozialisation von Kindern, indem die Mutter vorrangig den Nachwuchs versorgt, während der Vater das Familieneinkommen erwirbt.

Dieser subjektiv wahrgenommene Nutzen kann dabei mit gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen variieren, wenn etwa in der traditionellen Gesellschaft die wirtschaftliche Ergänzung oder in einer Freizeitgesellschaft der gemeinsame Spaßfaktor im Vordergrund steht. Der subjektiv empfundene Nutzen variiert mit der jeweiligen Bedürfnissituation, wie bereits Jung mit seinem Beispiel von einem Extravertierten und einer Introvertierten veranschaulicht hat, die erst die gemeinsame Not zusammengeschweißt hat, während dann nach einer Erbschaft die Befriedigung materieller Bedürfnisse an Bedeutung verliert und das gewünschte Verständnis des Partners dominiert.

Dieses Nutzenkonzept in der Partnerschaftsforschung findet sich auch unter dem Begriff der Interaktionsstile in der Sozionik (22). So werden neben der Unterstützung, die durch eine Ergänzung der schwachen Persönlichkeitsmerken durch einen Partner erfolgt, der gerade in diesem Bereich seine Stärken hat, Hemmung, Verbesserung und Verständnis unterschieden.

Die Entwicklung von Stärken ist in der Jungschen Persönlichkeitstheorie mit einem nur rudimentären Ausprägung anderer Merkmale verbunden. Diese Unterschiede führen bei der Arbeit kaum zu Konflikten, vor allem wenn die Mitglieder einer Gruppe im Rahmen der Arbeitsteilung unterschiedliche Aufgaben erfüllen, die gerade ihren besonderen Fähigkeiten entsprechen. Das ändert sich jedoch in intimen Beziehungen, wo die Unterschiede eine gemeinsame Entwicklung hemmen können, wenn die Partner ihre Schwachstellen kritisieren und verurteilen anstatt sich gegenseitig zu unterstützen.

Dabei können sich die Partner in einem Dauerkonflikt auch vorrangig mit den Schwachstellen des anderen beschäftigen, und zwar nicht, um sie zu verstehen und in der Partnerschaft auszugleichen, sondern um sie verbessern zu wollen. Daraus werden dann fast zwangsläufig hitzige Debatten resultieren, die jedoch kaum zu Verhaltensänderungen führen, da sich Persönlichkeitsmerkmale nur sehr schwer oder auch gar nicht beeinflussen lassen. Die Folge ist so eine gegenseitige Abstumpfung vor allem der besonders wichtigen emotionalen Seite einer Beziehung.

Eine Identität ist zweifellos die ideale Voraussetzung für ein gegenseitiges Verständnis. Dadurch wird ein besonders intensiver gegenseitiger Informationsaustausch ermöglicht, was für allem dann gilt, wenn einer der Partner über ein umfassenderes Wissen verfügt. Gerade in diesem Fall kann der besser informierte Partner die Defizite des anderen erkennen und ihm auf Grund seiner gleichen Persönlichkeitsmerkmal genau das vermitteln, was er an psychischer oder auch anderer Hilfe benötigt. Schließlich weiß er aus seiner eigenen Erfahrung heraus, was ein Mensch braucht, der genau so ist wie er und an einem erkannten Mangel leidet. Er kann ihn daher ohne lange Gesprächen, ja, sogar ganz ohne Worte, verstehen. Dabei wird nicht einmal eine hemmende Schüchternheit seine Bemühungen beeinträchtigen, da sich die Partner wegen ihrer großen Ähnlichkeit in allen Bereichen kennen, sodass sie keine großen Geheimnisse vor einander haben können und keine Scham empfinden werden.

Allerdings gibt es daneben auch zwei Schwachpunkte bei einer zu großen Identität: Zum einen sind beide Partner immer gemeinsam schwach, wenn es um die Lösung eines Problems geht, dass für einen der beiden eine schwierige Aufgabe ist; denn in diesen Fällen kann der Partner nicht mit ergänzenden Stärken eingreifen. Und zum anderen kann die große Ähnlichkeit leicht zu einem Wettbewerb führen, in dem jeder dieselben Stärken herausstellen möchte. Damit sind dann zwangsläufig Niederlagen und Frustrationen verbunden, die die Beziehung belasten.

Das Schicksal des geteilten Kugelmenschen lässt sich also durch eine gezielte Auswahl von Hälften, die relativ gut zu einander zu passen scheinen, zwar mildern, ohne jedoch quasi automatisch die mythische Stärke wieder herzustellen. Es sind schwierige Lernprozesse erforderlich, die in der dualen Beziehung den Partnern nach und nach die besonderen Potenziale ihrer Verbindung vor Augen führen.

Dabei bleibt das gegenseitige Verständnis die Achillesferse, da diese Leistung in der modernen Gesellschaft vor allem von einer romantischen Intimbeziehung erwartet wird, wie etwa die sehnsüchtige Suche nach Soulmates auf den US-amerikanischen Dating-Seiten (40 ) belegt. Doch gerade in diesem Bereich weist die Dualität Schwachstellen auf. Allerdings lässt sich diese Problemstelle umgehen, wenn man die empirische Kritik an der Jungschen Typologie aufgreift und zu einem weiter entwickelten Begriff der Dualität gelangt.

7. Benachbarte versus extreme Dualität

Ein Problem der klassischen Form der Sozionik besteht in ihrer Dichotomisierung von Merkmalen, deren Häufigkeit empirisch eher normalverteilt sein dürfte. Zumindest sind "reine" Typen in der Realität nicht die Regel, sondern die Ausnahme, sodass die Aufspaltung in zwei polare Typen eine sehr grobe Vereinfachung der Realität darstellt. Zwar soll jede Typisierung die Komplexität der Wirklichkeit so reduzieren, dass nicht nur Computer, sondern auch konkrete Menschen etwa in der Beratung mit ihr umgehen können, jedoch gilt dabei immer das Gebot einer möglichst realitätsnahen Vereinfachung. So hat auch Jung selbst seine Typologie nicht als empirische korrekte Beschreibung der Wirklichkeit verstanden, sondern als sprachliches Hilfsmittel, wenn er betont: "Das gibt es gar nicht, einen rein Extravertierten oder einen rein Introvertierten. Ein solcher Mensch wäre im Irrenhaus." (9, S. 78)

Aus dieser extremen Vereinfachung der empirischen Realität ergeben sich zwangsläufig große Probleme, die sogar das Grundkonzept des Ausgleichs von unterentwickelten Teilen der Persönlichkeit und damit von Handlungsdefiziten in Frage stellen. Ist die Verteilung von Persönlichkeitsmerkmalen nicht bionominal-, sondern normalverteilt, wie es in der Regel der Fall ist und auch für die Jungschen „Typen“ empirisch nachgewiesen wurde (2, 25), wenn nicht durch die Testkonstruktion bereits eine bionominale Verteilung generiert wird, sind üblicherweise die meisten Personen um einen Mittelwert gruppiert, während die Extreme relativ schwach besetzt sind. Die Dichotomisierung etwa in Extra- und Introversion führt allerdings als arbiträre theoretische Vorgabe dazu, dass gerade dieser Bereich hoher Ähnlichkeit unterschiedlichen Typen zugeordnet wird. Dieser Schnitt bedeutet dann einerseits, dass real sehr ähnliche Personen unterschiedlichen Typen zugeordnet werden, andererseits auf Grund der quantitativen Konzentration auf mittlere Werte im Ergebnis nicht besonders verschiedene, sondern recht ähnliche Personen als Dualitäten ausgewählt werden.

Die theoretische Vorgabe und ihre praktische Umsetzung widersprechen sich also, sodass das Dualitätskonzept eine Reformulierung erfordert. Entsprechend stärker empirisch oder theoretisch ausgerichteten Annahmen sind dabei unterschiedliche Vorgehensweisen denkbar.

Soll in der Tradition der optimalen Ergänzung unterentwickelter Funktionen ein Ausgleich von Gegensätzen beibehalten werden, müssen tatsächlich Persönlichkeiten mit einander verbunden werden, die deutlich abweichende Skalenwerte besitzen. Dabei ist die Zuordnung bei metrischen Werten nicht mehr so leicht möglich, da auf einer Skala definitionsgemäß nicht nur zwei Ausprägungen vorhanden sind. Es ist daher detailliert zu bestimmen, wie groß die jeweiligen Unterschiede in den drei Dimensionen E-I, T-F und S-I sowie die Ähnlichkeit in der vierten Dimension J-P sein soll. Ein einfaches Modell, das sowohl die Normalverteilung in der Realität als auch das Differenzkonzept berücksichtigt, ist dann die Abgrenzung von Bereichen um den Mittelwert, sodass die besonders häufige getrennte kategoriale Zuordnung zu unterschiedlichen Typen bei hoher empirischer Ähnlichkeit der tatsächlichen Skalenwerte entfällt. Bei diesem Vorgehen sind dann mindesten drei Typklassen zu bilden, und zwar eine mittlere und zwei Extremgruppen, die entsprechend der Differenzkriterien der Dualität zu verbinden wären.

Dabei wird dann auch das quantitative Problem der Sozionik deutlich, denn die Klassen wie auch die Typen in der traditionellen Version sind keinesfalls gleich stark besetzt, sodass die vom Ideal wünschenswerten Kombinationen praktisch nur für einen Teil einer Gesamtpopulation durchführbar sind. Im konkreten Fall stellt sich die Frage, ob die schwach besetzten Extremklassen verbunden werden sollen oder jeweils eine Extremklasse mit einem Teil der starken Mittelwertgruppe. Das erste Verfahren entspricht zwar dem theoretischen Konzept der Sozionik für die drei komplementär gesehenen Merkmale, jedoch bleibt in diesem Fall der mittlere Bereich ohne eine Ergänzung. Die andere Kombination bedeutet hingegen nur einen geringeren Grad an Ergänzung, der dann allerdings prinzipiell für die gesamte Population gilt.

Dieses Dilemma, vor das die empirische Merkmalsverteilung die sozionisch orientierte Zuordnung ohnehin stellt, lässt sich jedoch durchaus als Chance begreifen. Wie die Überlegungen zu den Kombinationsmöglichkeiten gezeigt haben, ist allein schon aus quantitativen Gründen wegen des stark besetzten Mittelfeldes ein Kompromiss notwendig, der sich jedoch auch als zusätzliche Problemlösung nutzen lässt.

Wie die theoretischen Überlegungen zu den Interaktionsstilen innerhalb der Sozionik (22), aber auch die empirischen Untersuchungen zur Partnerschaftszufriedenheit gezeigt haben, werfen extreme Gegensätze immer Kommunikations- und Verständnisprobleme auf. Wählt man hingegen nur geringere Merkmalsunterschiede, werden diese Schwierigkeiten gemildert, ohne dass die Vorteile der gegenseitigen Ergänzung ganz verloren gehen. Diese „benachbarte“ Dualität kann somit nicht nur das praktische Quantitätsproblem lösen, sondern auch mögliche Verständnisprobleme zwischen den Typen, auf die Jung bereits so nachdrücklich verwiesen hat, abmildern. Auf diese Weise kann somit zumindest vom Prinzip her ein Ausgleich von Schwächen in einer von gegenseitigem Verständnis geprägten Beziehung erfolgen.

8. Erweiterungen des sozionischen Persönlichkeitskonzepts

Wie in vielen Fällen wissenschaftlicher Entwicklungen werden vorläufige Erkenntnisse von Forschern, die sich ein hohes Renommee verschaffen konnten, von ihren Schülern konserviert, ja, teilweise sogar dogmatisiert, um sich als Gruppe der authentischen Schüler von der Umwelt und falschen Mitläufern abzugrenzen. Im Rückblick auf seinen Lebensweg misst so auch Jung seiner Persönlichkeitstypologie einen durchaus relativen Stellenwert bei, der Ergänzungen und Revisionen keineswegs ausschließt. So vergleicht er seine Einteilung mit einer "mit Vermessungspunkten versehenen Landkarte", die "eine Idee von den Entfernungen geben." (9, S.88). Sie sollen nicht die Realität darstellen, sondern sind ein "bloßes Mittel zum Zweck". (9, S. 88)

Betracht man die Ergebnisse der empirischen Persönlichkeitsforschung müssen die rein intuitiv und ohne die heute üblichen Testverfahren und statischen Analysemethoden gefunden Ergebnisse Jungs relativiert werden, auch wenn er vieles bereits gesehen hat, was später erst umfangreiche Analysen bestätigt haben.

Die Skala Extraversion - Introversion dürfte inzwischen als grundlegende Persönlichkeitsdimension generell anerkannt sein, da auch die induktiv vorgehenden Ansätze von Eysenck (7) und der Big5 (25), wenn auch mit leicht unterschiedlichen Akzenten, diese Dimension abgesichert haben.

Anders liegen die Dinge bei den vier Wahrnehmungstypen Jungs und den vier zusätzlichen Dimensionen der Big5. Hier findet man einerseits eine relativ große Konfusion unter den Schülern Jungs, die hieraus drei Skalen entwickelt haben, während , wie die Untersuchung von McCrae/ Costa (25) gezeigt hat, die empirisch gut gesicherten Dimensionen Freundlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen gar nicht oder nur unzureichend erfasst werden.

Akzeptiert man den Realitätsgehalt dieser Resultate, erfordern sie eine Reaktion der Sozionik, die sie entweder als für sie irrelevanten Persönlichkeitsaspekt ignorieren oder aber in ihren Ansatz integrieren kann. Da die Realitätsleugnung gerade von Dimensionen, die sich als relevant für die Partnerschaftszufriedenheit herausgestellt haben, die Sozionik auf ein wissenschaftliches Abstellgleis manövrieren dürfte, soll hier nach Integrationschancen Ausschau gehalten werden. Dabei muss der Kern des sozionischen Ansatzes als Leitlinie dienen, der einen Ausgleich individueller Persönlichkeitsschwächen durch einen Partner anstrebt, der gerade in diesen defizitären Bereichen seine Stärken hat.

9. Die Dyade als soziales Handlungssystem

In der sozionischen Perspektive treffen zwei Zugänge der Analyse von Partnerbeziehungen auf einander, da zum einen vom Individuum und speziell seiner Psyche ausgegangen wird, zum anderen jedoch von den sozialen Funktionen, die eine Dyade und damit arbeitsteilig auch ihre beiden Mitglieder zu leisten haben. Es lassen sich, wie gerade die empirische Persönlichkeitsforschung vor allem mit faktorenanalytischen Verfahren zeigt, in der Realität auftretende Beziehungen von Eigenschaften auffinden, die sich als Typen beschreiben und wenigstens teilweise als Eigenschaften interpretieren lassen.

Daneben tritt jedoch ein zweiter Aspekt, den gerade die Sozionik besonders untersucht, der danach sucht, welche Eigenschaftsprofile besonders gut zu einander passen und damit die Leistungsfähigkeit einer Dyade oder Gruppen insgesamt erhöhen. Gerade ein Paar, das in einer Ehe oder einer eheähnlichen Beziehung lebt, lässt sich nicht nur als Prozess des Informationsaustausches zwischen zwei Persönlichkeitstypen interpretieren, wie es vorwiegend der psychologischen Tradition Jung geschieht. Es ist auch eine Ganzheit, die sich durch gemeinsames Handel charakterisieren lässt.

Versteht man Ehen oder auch andere langfristige Intimbeziehungen als soziale Systeme (20, 30), wird der Blick auf die Einheit insgesamt und weniger auf ihre beiden Teile als isolierte Elemente gelenkt. Die Fokussierung zielt also nicht auf die psychischen Merkmale der Mitgliedern, sondern die Erfordernisse eines Systems, das sowohl erfolgreich in einer Umwelt bestehen als auch die Bedürfnisse seiner Mitglieder erfüllen will. Man könnte neben der empirischen Persönlichkeitsmessung und -typisierung daher von der Entwicklung von normativen oder auch funktionalen Anforderungsprofilen sprechen. Dabei geht es um eine teleologische oder funktionale Analyse, die die Dyade als soziales System betrachtet, das eine Reihe von Aufgaben erfüllen muss. Dazu zählen etwa die Sicherstellung von Außenkontakten und die Organisation erfolgreicher Handlungssequenzen.

Die Dimension Extraversion – Introversion lässt sich so nicht nur als differenzierende Eigenschaft von Persönlichkeiten verstehen, sondern auch als notwendige Leistung, die jedes System erfüllen muss, indem es sowohl seine eigenen Grenzen und damit seine Identität sichert als auch Kontakte zur Umwelt pflegt. Beide Leistungen sind erforderlich, sodass ein Ausgleich von Defiziten bei einem der Partner durch den anderen im Hinblick auf die Stabilität der Dyade in ihrer Umwelt durchaus wünschenswert ist. Diese systemische Sicht bestätigt somit die sozionische Perspektive sehr nachdrücklich.

Weniger eindeutig sieht die Situation bei der Organisation rationalen Handelns aus, das die Leistungsfähigkeit eines Systems erheblich steigern kann, wie etwa die Diskussion der Nutzenerwartungstheorie in den Wirtschaftswissenschaften zeigt. Das Handeln nach dem ökonomischen Prinzip, indem entweder bei gegebenem Einsatz der Nutzen für die Mitglieder maximiert oder bei konstante Nutzen die Kosten minimiert werden, erfordert eine Organisation von Informationen und ihre gezielte Auswertung und Anwendung. Damit sind vor allem die Jungschen Wahrnehmungsfunktionen und die von Jung selbst vorgenommene Definition von rational und irrational angesprochen. Hier gilt es daher, nach einer Persönlichkeitsdimension zu suchen, die dem Systemerfordernis „rationales Handeln“ hinreichend entspricht. Dabei muss sich der Blick auf die drei Persönlichkeitsdimensionen richten, die im MBTI und in der Sozionik aus den Wahrnehmungsfunktionen entwickelt wurden.

Damit wird ein Bereich angesprochen, der ohnehin implizite Diskrepanzen aufweist, da die logische Ableitung aus den Jungschen Vorgaben fragwürdig und die tatsächliche erfasste empirische Wirklichkeit keineswegs eindeutig ist. Definitorische und empirische Schwierigkeiten ergeben sich bei den von Myers-Briggs eingeführten Dimensionen, die aus den vier Orientierungstypen bei Jung entwickelt wurden, die bei ihm jeweils eine vom Individuum "wählbare" dominierende Funktion darstellen. Jung selbst fasst dabei sogar noch Denken und Fühlen als rationale und Wahrnehmen und Intuieren als irrationale Orientierungen zusammen (15, S.599). Er belegt sie also mit Begriffen, die später von den seinen Schülern aufgegriffen werden sollen.

Diese Aufgliederung einer Dimension, die bei Jung vier Ausprägungen besitzt, in drei unabhängige Dimensionen führt in der empirischen Erhebung zu erheblichen Definitions- und Abgrenzungsproblemen. Dabei kann die Empirie nicht einmal helfen, da die Autoren sich ja entweder auf ihre eigene Intuition oder eben Jung berufen, der allerdings eine durchaus abweichende Typologie verwendet hat, die eben beispielsweise nur den rationalen Denktyp kennt, nicht jedoch einen Denktyp, der zugleich auch intuitiv und spontan handelt. Auch die veränderte Terminologie und Definitionsversuche durch Gulenko (13) können diese Schwierigkeiten nicht völlig beseitigen, zumal sie in zwei Bereichen bestehen. Zum meinen sind Begriffe erforderlich, die trennscharf den gemeinten Realitätsbereich ansprechen, und zu zum anderen muss sich dieser Bereich auch empirisch herauskristallisieren.

Auch wenn, benutzt man die englischen Begriffe, thinking durch logical und judging durch rational bzw. feeling durch ethical und perceiving durch irrational ersetzt wird, bleibt diese Differenzierung des Bereichs schwierig (13). Schließlich kennt Jung selbst diese Unterscheidung nicht, sondern bezeichnet ganz grob mit rational die Typen T und F mit irrational die Typen S und I (15, S.594).

Will man diesem definitorischen Wirrwarr entgehen und unter den Vorgaben eine Dimension auswählen, die den Merkmalen rationalen Handelns relativ nahe kommt, gilt dies für die Dimension J-P, da bei der Operationalisierung des Denktyps im MBTI-Schema eine Abgrenzung zum Fühltyp erfolgt und nicht etwa eine Differenzierung gegenüber den verschiedenen Formen weniger rationalen Handeln, wie es Jung selbst zumindest andeutet. Solange keine bessere Testdimension für rationales Handeln entwickelt wurde, kann daher die Skala „Urteilen – Empfinden“ (J-P) als Repräsentantin der Systemleistung dienen, die Umweltinformationen zu rationalem Handeln organisiert und damit den Nutzen für die Systemmitglieder steigert.

Der begründete Ausweis einer relevanten Dimension besagt noch nichts über die Form ihrer Verwendung bei der Selektion von Systemmitgliedern. Das gilt aus der Sicht der Sozionik gerade in diesem Fall, die hier und nur hier für Ähnlichkeit plädiert wird. Die äsopsche Fabel "Die Ameise und die Grille", die den Unterschied zwischen J- und P-Typen illustriert hat, schließt allerdings nicht mit dem Hinweis, dass die Ameisen- und Grillentypen unter den Menschen mit ständigen Querelen leben müssen, wenn sie Amors Pfeil treffen sollte, sondern mit einer universellen Lebensregel für alle Menschen: Es gibt nichts Besseres als sich um seine Nahrung zu kümmern und nicht bei Lust und Tanz zu ergehen.

Auch wenn diese alte Lebensweisheit keinen wissenschaftlichen Status beanspruchen kann, erfordern sowohl das Konzept einer benachbarten Dualität als auch die systemische Ableitung des rationalen Handelns eine veränderte Sicht der Annahme der klassischen Sozionik. Gerade das Prinzip Kompensation extremer Ausprägungen durch einen leicht unterschiedlichen Partner muss nicht zwangsläufig in bei dieser Dimension verändert werden , da eine zu starke Vorsorge und ein zu ausgeprägter Konsum sowohl die Lebensfreude der Ameisen- als auch der Grillenmenschen beinträchtigen dürften.

An diesen beiden Persönlichkeitsmerkmalen Extraversion – Introversion und Urteilen – Empfinden bzw. Rationales – Irrationales Verhalten wird daher, wenn man eine systemische Perspektive wählt, die Bedeutung des Grundgedankens der Sozionik sehr deutlich. Ein Ausgleich der Schwächen eines Partners durch den anderen kann, wählt man eine ökonomische Kategorie, den Nutzen steigern und damit Potenziale für eine Persönlichkeitsentwicklung frei setzen. Diese Fokussierung auf die Dyade als soziales System veranschaulicht, dass die intime Beziehung nicht nur sexuelle und emotionale und teilweise auch haushaltökonomische Bedürfnisse befriedigt, sondern die Fähigkeiten der beiden Partner jeweils erweitern kann, indem sie auch Leistungen ihres Partners nutzen können. Dadurch werden Unterschiede zu Vorteilen, denn nur so lässt sich der für einen Tausch notwendige Mangel bei dem einen und ein komplementärer Überfluss bei dem anderen leisten. Dabei ist dann für die Stabilität in der Regel eine Gleichwertigkeit erforderlich, da beide Partner die erbrachten und empfangenen Leistungen als fairen Ausgleich betrachten müssen.

Dieser Blick auf individuelle Stärken und Schwächen sowie kann hilfreiche Anstöße zur Reflexion der eigenen Persönlichkeit und damit zu einer relativ zuverlässigen und präzisen Selbsteinschätzung führen, die erst eine gute Informationsgrundlage für die Suche nach einem geeigneten Lebenspartner ist. Damit wird auch eine Weiche gestellt, die nicht mehr – greift man auf ein Klischee der weiblichen Partnerwahl heraus - auf den gut aussehenden netten Zahnarzt als Wunschpartner fixiert ist, sondern als Ergänzung der eigenen Extraversion und ausgeprägten Empfindungsfunktion einen etwas introvertierten planenden Denktyp als Partner sucht, um mit ihm das Leben besser meistern zu können.

10. Sozionische Typen als partielle Matching-Module

Die Analyse der Sozionik vor dem Hintergrund der empirischen Persönlichkeitsforschung hat somit drei Aspekte für ihre Weiterentwicklung eröffnet:

- Persönlichkeitsmerkmale müssen quantitativ und nicht typologisch verstanden werden, da auf diese Weise nicht nur ihr Realitätsgehalt erhöht wird, sondern auch erheblich detailliertere Informationen für die weitere Analyse zur Verfügung stehen.

- Die in der Psychologie zunächst ermittelten Persönlichkeitsdimensionen, wie sie Jung intuitiv gewonnen und von Myers-Briggs und der Sozionik aufgegriffen wurden, erfordern eine Erweiterung, da einige empirisch nachgewiesene Dimensionen gar nicht oder nur relativ grob erfasst wurden. Das gilt etwa für den Neurotizismus, der gerade für die Prognose der Partnerschaftszufriedenheit eine zentrale Rolle spielt.

- Die zumindest tendenziell angestrebte Verbindung polarer Typen im sozionischen Konzept der Dualität widerspricht nicht nur den Erfahrungen zahlreicher Psychologen der Jungschen Tradition, sondern auch der notwendigen multidimensionalen Orientierung einer Partnerbeziehung, in der neben einer Ergänzung auch das gegenseitige Verständnis eine zentrale Bedürfnisfunktion erfüllt. Nicht die Verbindung von möglichst großen Gegensätzen muss daher das Ziel sein, sondern eine Verbindung von Partnern, die extreme Persönlichkeitsmerkmale und -defizite abmildern kann, ohne dass damit die Grenzen des Einfühlungsvermögens überschritten werden, die auch nach gegenseitiger Kommunikation und gemeinsamen Aktivitäten noch bestehen.

Dennoch kann der sozionische Zugang zur Bildung von Dyaden und Gruppen auch für die Partnerwahl sehr notwendige Beiträge leisten. Zentral ist dabei der Gesichtspunkt einer theoretisch orientierten Verbindung von Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Eigenschaften, wodurch der ursprünglich Gedanke Jungs, der zwischen dominanten und rezessiven Orientierungen unterscheidet, aufgegriffen wird. Die unterentwickelten Eigenschaften, die bei einem Partner vermutlich bereits genetisch schwächer vorhanden sind, sodass er sich auf die Entwicklung seines günstigeren Potenzials konzentriert, lassen sich in einer Partnerschaft ergänzen, sodass sich die Schwächen des einen Partners durch die Stärken des anderen kompensieren lassen und so eine insgesamt starke Dyade entsteht. Eine Partnerschaft birgt somit in sich die Chance, dass sich beide Partner von den quälenden Lasten Ihrer Defizite befreien und somit ihre besonderen Fähigkeiten und auch ihre Persönlichkeit insgesamt besser entfalten können.

Dieses Potenzial lässt sich nicht nur aus der Perspektive der beiden Partner beleuchten, sondern auch von der Dyade als System. Der Ausgleich von Persönlichkeitsmerkmalen und die damit verbesserten Chancen der Persönlichkeitsentwicklung stärken gleichzeitig die Leistungsfähigkeit des Systems, das sich als Entität mit guten Umweltkontakten etablieren und effizient zum Nutzen seiner Mitglieder handeln kann.

Für die praktische Umsetzung dieses theoretischen Konzepts besitzt das Internet-Dating große Potenziale, da nicht die Blindheit des ersten Blickes, wie sie von den Literaten des Romantik gefeiert wird, die Weichen für mehr oder weniger lange Beziehungen stellt, in denen sich die psychischen Ergänzungen, Konflikte und Harmonien erst ganz allmählich abzeichnen. Aufgrund seiner abweichenden Organisation stellen sich die Probleme beim Online-Dating erheblich anders, da man sich hier quasi von „innen“ nach „außen“ kennen lernen kann, womit psychische Aspekte einen anderen und entscheidenden Stellenwert gewinnen.

Die notwendige Voraussetzung ist die Kenntnis von Persönlichkeitsmerkmalen, die für den Erfolg von Beziehungen wichtig sind und vor allem die Kombination geeigneter Ausprägungen. Sind die entsprechenden Informationen bekannt, müssen sich nur noch potenzielle Partner kennen lernen und auf ihre gegenseitige sexuelle Attraktion hin testen. Dabei können sie dann, psychologisch und soziologisch unterstützt, diese letzte Wahl in der Sicherheit treffen, auf alle Fälle den "Richtigen" zu lieben. Das gilt allerdings nur, wenn die wissenschaftlichen Matching-Bedingungen erfüllt sind. Die Sozionik hat hier den Mut gehabt, Persönlichkeitsmerkmale und ihre mögliche Bedeutung für romantische Beziehungen zu benennen. Wie es das Schicksal aller ersten wissenschaftlichen Entwürfe ist, musste sie sich damit zugleich der Kritik aussetzen. Auf jeden Fall hat sie aber die Grundlagen für eine intensive Diskussion dieser Fragestellung gelegt, die durch die Entwicklung des Internet-Dating eine besondere aktuelle Bedeutung gewonnen hat.

Vergleicht man die beiden Wege des Kennenlernens, den klassischen realen offline, der sich vor allem im Bekanntenkreis und den Arbeitsplatz abspielt, und den virtuellen über das Internet, so werden Unterschiede sichtbar, die gleichzeitig verschiedene Chancen bieten. Die Vorteile des Online-Dating ergeben sich aus der Möglichkeit einer Vorauswahl unter dezidiert Interessierten, die gewünschte oder zumindest diesen recht ähnliche Eigenschaften haben.

Daneben lässt sich der Disinhibitionseffekt (4, 54ff.), der mit der Anonymität der ersten Kontakte verbunden ist, dazu nutzen, nicht nur nach äußeren Merkmalen zu sehen, sondern auch die Psyche schneller kennen zu lernen als es offline möglich wäre, wo die meisten Menschen erst nach und nach bereit sind, ihr Innerstes zu öffnen.

Schließlich bietet das Internet noch die Möglichkeit, sich über potenzielle Partner nicht nur sequentiell zu informieren, sondern es quasi zu Beginn in einem Pool potenzieller Partner zu versuchen, also nach einer Vorauswahl gleich mehrere mögliche Partner zu kontaktieren, um die Chancen für eine intensivere Beziehung auszuloten (12, S.286ff.). Dieser zeitsparende Weg ist in der Realität praktisch wegen des erheblich höheren Suchaufwandes und der entstehenden emotionalen Konflikte verstellt, da sich niemand als Testobjekt wahrnehmen möchte, auf das vielleicht nach der Prüfung anderer Möglichkeiten dann doch wieder die Wahl fällt.

Um diese Vorteile des Online-Dating realisieren zu können, stellt sich so zunächst nicht die Frage, wer der oder die Richtige ist, sondern welche Antworten auf welche Fragen zum Erfolg bei der Suche führen. Dabei muss jeder zunächst entscheiden, was für ihn bei der Partnerwahl ausschlaggebend ist, ob es beim ersten Rendezvous einfach nur "Klick" machen soll oder ob neben der sexuellen Attraktivität auch andere Kriterien, die für den Bestand einer Partnerschaft relevant sind, berücksichtigt werden sollen.

Die Qualität romantischer oder intimer Beziehungen soll hier an einem Magischen Viereck diskutiert werden, in dem die wichtigsten Aspekte der Partnerwahl zusammengefasst sind. Hierzu zählen:

- erotische Attraktion

- gegenseitiges Verständnis und Empathie,

- Komplementariät, die individuellen Schwächen und die eigene Persönlichkeitsentwicklung erleichtert, sowie

- gemeinsame Ziele und Aktivitäten, die die Dyade erst als Einheit erlebbar werden lassen

Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Akzeptanz der Online-Dating-Angebote und der empirischen Partnerwahl- und Zufriedenheitsforschung lassen sich daraus drei thematische Module unterscheiden und konkretisieren.

Die üblichen sozialstatistischen Daten wie Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht, Wohnort, Bildungsabschluss, Familienstand, Kinderzahl, Raucherstatus, Alkoholkonsum ,Haar- und Augenfarbe u.ä., wie sie auch der an der Sozionik ausgerichtete Online-Dating-Service SocionicsDating.com (39) erwendet, können dabei helfen, den nach den üblichen Kriterien passenden Partner zu finden. Auf diese Weise kann eben den üblichen Wünschen der Männer nach jüngeren Frauen und denen der Frauen nach großen Männern mit einem höheren sozialen Status entsprochen werden. Aber prinzipiell steht dabei selbstverständlich auch der Wahl von Partner nichts im Wege, die vom üblichen Muster abweichen. Fotos, die gleich im Internet präsentiert werden oder schnell nach einer Kontaktaufnahme ausgetauscht werden, können diese technische Operationalisierung des üblichen Kennenlernens noch erleichtern.

Ein zweites Modul kann dann die Persönlichkeitsmerkmale erfassen, wobei hier auch sozionische Aspekte ihre Stellenwert besitzen. Problematisch ist dabei allerdings der Konflikt zwischen den zeitlichen Erfordernissen verlässlicher Tests und dem Aufwand, den ein Internetnutzer zu investieren bereit ist. Es ist daher eine Fokussierung auf die ganz zentralen Dimensionen erforderlich, die für das gegenseitige Verständnis und die wünschenswerte Ergänzung erforderlich sind. Für die Ähnlichkeit wären das nach dem bisherigen Stand der Persönlichkeitsforschung etwa die Big5 und für die Komplementarität vor allem eine Extraversions-Introversions- sowie eine Rationalitätsdimension, die sich an dem Konzept von Urteilen versus Empfinden (J-P) orientieren kann.

Allerdings dürfen diese Messdaten nicht überschätzt werden, da die kurzen Internettests zwangsläufig mit Fehlern behaftet sind, aber auch die Persönlichkeitsdimensionen nur Teilaspekte einer Persönlichkeit erfassen können. Es muss daher nicht nur danach geforscht werden, ob es tief in den menschlichen Psychen grundlegende Unterschiede gibt, die eine Paarbeziehung begünstigen oder belasten können, sondern auch nach den ganz alltäglichen Konfliktbereichen konkreter Beziehungen. Es ist so einfach zu fragen, wo die üblichen Bruchstellen liegen und es sind dann jeweils Partner zu suchen, bei denen diese Probleme schlechthin gar nicht auftreten können, einfach weil beide sehr ähnlich fühlen, denken und vor allem handeln.

Diesen unkomplizierten, direkten Weg geht der britischer Psychologe Wilson (33) von der University of London, der auf Grund der Bereiche, die in einer Beziehung zu Konflikten führen, einen sogenannten Kompatibilitätsquotienten entwickelt hat. So muss es möglichst große Übereinstimmung im sexuellen Bereich, d.h. hinsichtlich Treue-Standards, Libido- Stärke und Bewertung von Pornographie geben, aber auch bei den Präferenzen für Speisen und Parties geben.

Gelten diese Kriterien für beide Geschlechter, gibt es daneben auch deutliche Unterschiede. So achten Frauen anders als Männer zusätzlich auf ähnliche Einstellungen in politischen Fragen und zum Rauchen. Männer sind hingegen zufriedener, wenn ihre Partnerinnen ihre physische Attraktivität und sexuelle Erfahrung ähnlich beurteilen wie sie selbst. Beide Einschätzungen sollten sich also weitgehend decken.

Nach diesem Konfliktmodell müssen daher in einem dritten Modul Partnerschaftsvorstellungen und Verhaltensmuster erfasst werden, die für gemeinsame Aktivitäten relevant sind. Das gilt besonders dann, wenn eine Präferenz für eine enge Partnerbeziehung besteht. So sollte nicht nur, wie es bisher meist die Regel ist, zwischen diversen Formen von Kurzzeit- und Langzeitbeziehungen unterschieden werden, sondern auch im letzten Fall nach vorrangig angestrebten Lebenszielen wie etwa Karriere, Kinder, Freizeitspaß oder soziales Engagement und dem Wunsch nach mehr oder weniger gemeinsamen Tätigkeiten.

Vor diesem Hintergrund kann dann auch die Bedeutung der heute üblichen Handlungspräferenzen in einer Partnerbeziehung, wie sie das Intim- und Sexualverhalten, die jeweiligen Freizeit- und Urlaubsvorlieben, die Quantität und Qualität gemeinsamer sozialer Kontakte, die Formen des Haushalts- und Konsumverhaltens sowie besondere Ess- und Trinkpräferenzen darstellen, erfasst und beurteilt werden.

Ein Matching-Algorithmus, der diese Module und ihre skizzierte Bewertung einschließt, bietet somit notwendige Voraussetzungen für eine „rationale“ Partnerwahl. Allerdings darf dabei von der großen Zahl der Profile potenzieller Partner, die ebenfalls auf der Suche sind, nicht das sofortige Glück per Mausklick erwartet werden, denn die Entwicklung einer Partnerbeziehung ist ein psychischer und sozialer Prozess und nicht mit dem Einschalten eines elektrischen Schalters gleichzusetzen. Die Auswahl über das Internet, das Screening, kann dabei nur die erste Phase sein, die allerdings als Weichenstellung eine besonders sorgfältige Vorbereitung erfordert. Hier gilt es, die Daten zu erheben und in geeigneter Weise auszuwerten, die die späteren Chancen besonders gut gestalten können.

Die Partnerwahl selbst bleibt auch im Online-Zeitalter ein Entwicklungsprozess mit Überraschungen, mit Höhen und Tiefen, der jedoch auch einige notwendige Phasen umfasst. Schließlich wird niemand einen Partner lieben und gemeinsam mit ihm leben wollen, nur weil gerade eines von zahlreichen möglichen theoretischen Konzepten das empfohlen hat, sondern weil er, wie gerade auch empirische Untersuchungen gezeigt haben, er seinem Ideal zumindest sehr nahe kommt.

Die ersten Matching-Vorschläge, die entsprechend den Informationen des Moduls ermittelt werden, sollte somit gerade auf Grund der sozionischen Aspekte eine Problemanalyse einschließen, die auf die Vorteile und Probleme von Beziehungen verweist und auch damit die zweite Phase der Mail- und Telefonkontakte vorbereitet.

Die Prinzipien von Homogenität und Komplementarität verlangen daher nicht eine grundsätzliche Entweder-oder-Entscheidung, sondern eine komplementäre Wahl im Detail. Dieser Prozess hat dabei nicht nur einen analytisch-theoretischen Aspekt, sondern vor allem einen ganz praktischen beim Kennenlernen von Partnern. Der Komplementaritätsaspekt, wie ihn die Sozionik mit ihrem Konzept von der Dualität vertritt, kann damit einen wesentlichen Beitrag leisten bei der Selbstanalyse und Suche nach potenziellen Partner für einer längerfristige Beziehung. Schließlich lässt sich beim Kennenlernen auch erfahren, welche Defizite möglicherweise bestehen und welche Ergänzungen daher hilfreich sein könnten. Das gilt besonders dann, wenn nach den üblichen Werbebotschaften zu Beginn der Internet- oder Telefonkontakte die Vertrautheit und damit auch die Offenheit wachsen. Dabei kann, sofern die inhibitative Kraft der Anonymität wirkt, gerade online häufig ein intensiver Gedankenaustausch erfolgen, sodass die Partner später glauben, sich schon seit langem, wenn nicht schon immer zu kennen, da sie ihre Leben vor dem Partner weit ausgebreitet haben, wie es offline zumindest erheblich langsamer erfolgt wäre.

Der eigentliche Test der grauen Theorie sind schließlich die realen Dates, in denen sich dann alles Facetten des magischen Vierecks auf eine unanalytische Weise entfalten können.

Macht man diese vier Bereiche durch entsprechende Fragen- und Test-Module zum Kern von Angeboten des Internet-Datings wird damit der Stellenwert der Sozionik deutlich. Wie viele andere psychologische Angebote des Matchings kann sie allein sicherlich nicht die Zauberformel liefern, die aus einem fast unübersehbaren Angebot suchender Singles den Traumprinzen bzw. die Traumfrau herausfiltert, bei der dann noch gleich beim ersten Date Amors Pfeil beide trifft und danach eine lange, glückliche Partnerschaft garantiert wird. Nicht einmal ein unbeirrbarer Glaube an die Psychologie oder Sozionik wird eine derartige Magie auslösen, aber immerhin können sozionische Aspekte und Prinzipien einen wichtigen Beitrag dazu liefern, dass sich die Chancen für eine zeitliche Verlängerung des "Wunders" in Form einer sich entwickelnden Partnerschaft verbessern.

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